| Franz Bittner

Zelltherapie: Hoffnung gegen Krebs?

Die Immuntherapie gilt neben den traditionellen Behandlungsmethoden wie Chemotherapie oder Bestrahlung als neue innovative Strategie im Kampf gegen Krebs. Dazu gehört auch die CAR-T-Zelltherapie, die eine hohe Wirksamkeit verspricht. Die Kosten sorgen allerdings für Diskussionen. Was steckt hinter diesem neuen Therapieansatz und sind die Preise gerechtfertigt? Antworten darauf gibt der Arzt und Arzneimittelexperte Dr. Christoph Baumgärtel. 

 

Forschung und Pharmaindustrie arbeiten mit Hochdruck an neuen Therapien in der Krebsbehandlung. Hoffnung verspricht jetzt die CAR-T-Zelltherapie. Was halten Sie davon?

 

Christoph Baumgärtel: Im Prinzip handelt es sich um eine Form der Gentherapie, bei der man sich bestimmter Immunzellen bedient. Der Ansatz ist gut und ist im Zuge dessen, was wir derzeit zur Pathogenese von Krebs und zu den möglichen therapeutischen Ansatzpunkten kennen, logisch. Viel bedeutender als der theoretische Aspekt ist aber, dass bereits erste Ergebnisse aus der Praxis – auch nach einigen unvermeidlichen Rückschlägen – zeigen, dass wir uns hier eine vielversprechende Therapie für die Zukunft erwarten dürfen. In den USA wurde Ende August die erste dieser neuen „Krebsimmuntherapien“ zugelassen und mit Ende Oktober bereits die zweite. Auch in Europa befinden sich die Zulassungsverfahren für diese Therapien in einem weit fortgeschrittenen Stadium.

 

Grundsätzlich gibt es für das breite Feld der Immuntherapie denkbar viele Ansätze mit unterschiedlichen Wirkmechanismen. Einer davon, der sich bereits zu etablieren beginnt, ist die nun neu zugelassene „CAR-T“. Bei der sogenannten CAR-T-Zelltherapie nutzt man einen Ansatz aus der Gentherapie: Man isoliert gewisse Immunzellen – die „T-Zellen“ – aus dem Körper des betroffenen Patienten und versieht sie dann mit dem Gen des „CAR“-Moleküls. Das CAR-Molekül ist gegen ganz bestimmte krebsspezifische Oberflächenproteine des Tumors gerichtet und ermöglicht dem Immunsystem damit das Auffinden und Attackieren der Krebszellen. Diese CAR-T-Zellen werden zuerst im Labor „maßgeschneidert“ und dem Patienten dann über eine Infusion zurückübertragen. Er erhält somit eine aktive und dennoch weitgehend körpereigene „Waffe“ im Kampf gegen Krebs. Die Zelltherapie soll also primär das körpereigene Immunsystem gegen den vorhandenen Krebs schärfen.

 

Können Sie uns kurz erklären, was das Besondere an diesen Therapien ist und wo die Vorteile gegenüber bisherigen Behandlungsmethoden liegen?

 

Baumgärtel: Im Wesentlichen geht es um den Aspekt, dass man damit maximal „zielgerichtet“ therapiert – also um eine bessere Treffsicherheit, wie wir es teilweise heute auch schon von den modernen hochspezifischen Antikörpertherapien kennen. Man versucht „smart“ zu agieren und zu vermeiden, dass wie früher bei der „alten“ Chemotherapie mehr oder weniger breit alle Zellen im Körper attackiert werden – mit den daraus fast unvermeidlich resultierenden entsprechend schweren Nebenwirkungen. Man will mit dieser neuartigen Intervention möglichst nur den Tumor treffen, also eben maximal „zielgerichtet“ sein. Das kann in einigen Fällen mit einer deutlich besseren Wirksamkeit und Verträglichkeit einhergehen.

 

Hier ist jedoch auch noch vieles Vision und nicht alles, was man hier verspricht, ist bereits mit Evidenz ausreichend belegt. Und vor allem: Nicht jeder Patient und nicht jeder Krebs eignet sich für so einen Ansatz. Das heißt, es muss aus heutiger Sicht immer sorgfältig überlegt werden, welcher Ansatz der sinnvollere für einen individuellen Patienten ist.

 

Man darf nicht vergessen, dass die Studienlage zu den neuen Therapien noch recht „überschaubar“ ist und es auch hier teilweise zu fatalen Nebenwirkungen kommen kann. Nach einer CAR-T-Therapie kann es etwa zu einer Überreaktion des Immunsystems kommen, dem sogenannten gefürchteten „Zytokin-Sturm“, der auch tödlich sein kann. Hier muss noch einiges an weiterer Forschung passieren und versucht werden, ein Gespür dafür zu bekommen, wo die Schalter im Immunsystem liegen und wie man diese passend steuern kann, also nicht zu viel und nicht zu wenig.

 

Welche Krebsarten sprechen auf die neuen Therapien an?

 

Baumgärtel: Vom Ansatz her wäre ein Ansprechen theoretisch bei fast allen Tumorformen möglich, denn das Prinzip zielt auf das im Körper allgegenwärtig vorhandene Immunsystem ab. Dennoch: Aus heutiger Sicht ist in der Praxis vor allem bei soliden Tumoren mit deutlich mehr Herausforderungen zu rechnen, also sprich einer schlechteren Wirkung als zum Beispiel bei den gut „zugänglichen“ Tumoren des Blut- und Lymphsystems. Die ersten beiden CAR-T-Therapien wurden daher nicht zufällig genau gegen solche erreichbaren Krebsarten zugelassen, wo das Immunsystem besonders gut „hinkommt“, nämlich gegen eine Art der Leukämie (B-ALL) und gegen eine bestimmte Unterform aus dem Kreis des Non Hodgkin Lymphoms (DLBCL).

 

Entsprechende Medikamente sollen demnächst auf den Markt kommen. Allerdings ist mit immensen Kosten zu rechnen. Ist eine solche Behandlung überhaupt leistbar bzw. sind die Kosten dafür gerechtfertigt – auch mit Blick auf die derzeitigen Behandlungsformen?

 

Baumgärtel: Wenn man über Kosten spricht, muss man sich immer auch den Nutzen ansehen. Vom therapeutischen Ansatz kann man hier sicherlich von einem weiteren Durchbruch in der Krebstherapie sprechen. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass die aktuellen therapeutischen Ergebnisse von CAR-T zwar gut sind, aber dass keinesfalls von einer „Wunderheilung“ oder Ähnlichem gesprochen werden kann. Man muss die Kirche schon im Dorf lassen und auf Basis der aktuellen Fakten den objektiven Wert sehen.

 

Leider wird wohl auch in den nächsten zehn Jahren Krebs keine „grundsätzlich“ heilbare Erkrankung werden. Man erinnere sich an den legendären Ausspruch von US-Präsident Richard Nixon, dass „Krebs innerhalb von 25 Jahren heilbar“ sein werde. Das war jedoch schon 1971 – und wo wir heute stehen und dass dieses Versprechen nach wie vor nicht eingelöst ist, wissen wir alle. Dennoch ist positives Denken gefragt. Denn Fakt ist, dass wir mit derart innovativen Therapieansätzen zwar nicht jeden Krebs, aber in Kürze doch deutlich mehr Patienten als heute werden heilen können und es in vielen Fällen zumindest zu einem Stillstand der Erkrankung kommen wird. Dadurch könnte Krebs von einer akuten tödlichen Erkrankung zu einer chronischen Erkrankung werden, mit der man durchaus noch sehr lange leben kann. Etwas Ähnliches, wenngleich in einem ganz anderen Bereich, haben wir ja auch in den letzten 20 Jahren mit HIV beobachten können.

 

Die hohen Kosten stellen auch das Gesundheitssystem vor finanzielle Herausforderungen. Welche Strukturen und Rahmenbedingungen braucht es, um den Zugang zu neuen Krebstherapien zu ermöglichen?

 

Baumgärtel: Wir sprechen hier von einer Therapie aus dem Bereich der „personalised medicine“. Da ist es immanent, dass die Kosten am Anfang sicher höher sein werden, weil kein Massenprodukt angefertigt wird, sondern ein individuelles Therapeutikum. Sollten die Versprechungen des Therapieansatzes halten und die Wirkungen tatsächlich so gut sein, wie man das zumindest theoretisch erwarten kann, dann wäre ein höherer Preis gerechtfertigt – auch nach dem etablierten Erstattungssystem.

 

Es muss jedoch betont werden, dass der Nutzen anhand der derzeit vorliegenden Daten noch keineswegs ausreichend erforscht ist. Das ganze therapeutische Prinzip steckt, ungeachtet der ersten erteilten Zulassungen, sprichwörtlich noch in den Kinderschuhen. Trotz oder wohl auch gerade deswegen ist der Preis dieser Behandlungen in den USA mit Einzelkosten rund um die 400.000 Dollar wirklich hoch. Wie bei allen neuen Therapien besteht aber auch hier die berechtigte Hoffnung, dass nach anfänglich exorbitanten Preisen sich die Kosten wieder in einem vernünftigen Rahmen einpendeln werden, wenn die Technik erst einmal etabliert und zur klinischen „Routine“ geworden ist. Das passiert jedoch selten von alleine, sondern setzt immer ein notwendiges Maß an Kontrolle von Zahlerseite voraus. Man muss aufpassen, dass wir auf Dauer jene Preise zahlen, die den tatsächlichen Nutzen widerspiegeln, und dass wir nicht aber fortlaufend „Fantasie-“ oder „Mondpreise“ finanzieren. Gerade in letzter Zeit wurden von einigen Anbietern vermehrt Hochpreise festgesetzt, wo schon der Gedanke naheliegt, dass es sich hier um eine eher kurzfristige Profitmaximierung handeln könnte. Fakt ist: Die Entwicklungskosten und auch der Nutzen einer neuen Therapie sollen und müssen selbstverständlich von einem Gesundheitssystem gezahlt werden, aber es dürfen Aktienspekulationen und unnötig teure Übernahmen, wie wir es zuletzt bei manchen Hepatitis C-Medikamenten gesehen haben, unser Gesundheitsbudget nicht zusätzlich belasten.

 

Um wieder zum Bereich der neuen CAR-T-Zelltherapie zurückzukommen: Es wäre sicherlich ein notwendiger und sinnvoller Ansatz diese Preise nach dem tatsächlich erwiesenen Nutzen festzusetzen und zu bezahlen. Dazu kann man sich sowohl der Technologiefolgenabschätzung (HTA, Health Technologie Assessment), als auch innovativer Erstattungs- und Finanzierungsformen aus dem Rahmen der sogenannten „Managed Entry Agreements“ bedienen. Dadurch wird das Finanzierungsrisiko zwischen Anbieter und Zahler (d. h. zwischen Pharmaunternehmen und öffentlicher Hand) zu fairen und transparenten Anteilen aufgeteilt. Stichworte dieser Modelle  können „Risk Sharing“ und „Pay for Performance“ sein“. Das heißt, die öffentliche Hand zahlt dem Hersteller den (hohen) Preis nur dann, wenn das neue Arzneimittel tatsächlich den erwarteten Nutzen erbringt. Dass die Bereitschaft zu fairen Modellen auch zunehmend von Industrieseite vorhanden ist, signalisierte zuletzt auch die Meldung aus den USA, wonach der Hersteller der ersten CAR-T-Therapie offenbar nur dann eine Rechnung stellen will, wenn sich der Erfolg der Therapie bei einem Patienten tatsächlich auch einstellt. Mit solchen Ansätzen ließen sich daher die zukünftigen Kosten im Griff und insbesondere auch der Nutzen im echten klinischen Leben (unter „real-life“ Bedingungen) im Blick halten. Andererseits wäre die Finanzierung für teure, effektive Therapien auch zukünftig sichergestellt. Und das dürfte dann tatsächlich für alle Beteiligten eine zukunftsorientierte Win-Win Situation sein.  

 

Zur Person:

 

Dr. Christoph Baumgärtel ist Arzt und Arzneimittelexperte im Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen.