| Franz Bittner

Wiener Spitäler: weniger Ambulanzen und neue Kompetenzzentren

Franz Bittner: Das angekündigte Spitalskonzept sorgt schon jetzt für Diskussionen. Denn künftig sollen in Österreich nicht alle Spitäler sämtliche Leistungen anbieten, sondern sich auf Schwerpunkte spezialisieren. Was bedeutet diese Entwicklung für die Patienten?

Mag. Helmut Kern: Wien unterscheidet sich hier sicher von den anderen Bundesländern, da die Wege zu den Spitälern für die Patienten kürzer sind. Natürlich ist eine gewisse Spezialisierung sinnvoll und notwendig, auch um das fachliche Niveau der Behandlung durch entsprechende Fallzahlen sicherzustellen. Wenn wir allerdings Bedenken haben, dass Multimorbidität im Zunehmen ist, dann halte ich es schon für sehr wichtig, dass es Schwerpunktspitäler wie die Barmherzigen Brüder gibt, die ein breites Spektrum auf hohem Niveau anbieten können. Denn in welches Kompetenzzentrum sollte etwa eine demente Diabetikerin mit einem gynäkologischen Problem gehen? Die können wir doch nicht von Klinik zu Klinik transportieren.

Dr. Michael Heinisch: Auch in Hinkunft muss die Grundlage jeglicher Spezialisierung der Krankenhäuser eine qualitätsvolle medizinische Grundversorgung sein. Auf dieser Basis sollen die Patienten medizinisch umfassend versorgt werden, wobei durch die Spezialisierung zusätzliche medizinische Kompetenz und zusätzliche Ressourcen durch strategisch fokussierte Investitionen zur Verfügung stehen. Durch Spezialisierungen soll es auch für die Patienten leichter werden, sich im Gesundheitssystem zu orientieren.

Franz Bittner: Bestimmte Behandlungen werden damit nur noch in großen Spitälern angeboten. Wie gut kann damit eine optimale Versorgung im Sinne von „Best Point of Service“ und im Sinne der Patienten gewährleistet werden?

Kern: Für einige seltene Indikationen bzw. therapeutische Leistungen wird dies sicher zutreffen und es auch notwendig sein, dass nur wenige Spitäler solche Behandlungen anbieten. Die Frage ist wohl, wie die Mindestfrequenzen angesetzt werden, die zu erreichen sind. Hier können wir schon einen besorgniserregenden Trend zu unnötig hohen Fallzahlen feststellen, der dann natürlich dazu führt, dass kaum ein Spital mehr bestimmte Behandlungen durchführen kann.

Heinisch: Die Frage nach der optimalen Versorgung betrifft nicht die Krankenhäuser alleine. Durch eine Stärkung der Primärversorgung im niedergelassenen Bereich wird sich der Best-Point-of-Service abhängig vom Krankheitsbild bzw. vom Behandlungs- und Betreuungsbedarf auch außerhalb des Krankenhauses befinden. Erst durch das Zusammenspiel des niedergelassenen und des stationären Bereichs kann eine optimale Versorgung sichergestellt werden.

Franz Bittner: Es geht aber auch darum, dass ambulante Leistungen in den Krankenhäusern reduziert werden. Das ist zwar im Interesse der Spitalserhalter, aber nicht immer im Interesse der Patienten….

Kern: Hier muss man sehr stark differenzieren: Ambulanzen erfüllen eine ganz wichtige Funktion für die Gesundheitsversorgung. Leider werden Ambulanzen oft aus Bequemlichkeit als Hausarztersatz für nicht dringende Anliegen missbraucht. Es ist schon bezeichnend, wenn zum Beispiel die Ambulanz abends erst leer ist und sich eine halbe Stunde nach Ende eines Champions League Spiels plötzlich füllt. Oder wenn Patienten in bestechender Offenheit auf die Frage des Arztes, wie lange das Halsweh nun schon bestehe, zugeben, dass sie schon seit vier Tagen Halsschmerzen haben, aber wegen ungünstiger Ordinationszeiten keine Zeit gehabt hätten, den Hausarzt aufzusuchen. Solange dies möglich ist, führt eine Reduktion der Ambulanzen natürlich zu höheren Wartezeiten und mehr Unzufriedenheit bei jenen Patienten, die tatsächlich dringend eine Behandlung brauchen.

Heinisch: Ambulante Leistungen in Krankenhäusern sind im Kontext mit ambulanten Leistungen im niedergelassenen Bereich zu sehen. In Summe muss gewährleistet werden, dass die Patienten eine hochwertige medizinische Grundversorgung erhalten, die sich auch an den Zeitbedürfnissen der Menschen ausrichtet. Wichtig ist, dass Investitionen bzw. Reduktionen im ambulanten Bereich Sektor übergreifend abgestimmt werden

Franz Bittner: Nehmen wir das Beispiel Diabetes mellitus oder Schmerz: Die Zahl der Betroffenen steigt rasant, eine Schließung von Spezialambulanzen erscheint hier kontraproduktiv. Kann die Behandlung von den niedergelassenen Ärzten getragen und dabei die Qualität der Versorgung aufrechterhalten werden?

Kern: Spezialambulanzen stellen eine bedeutende Säule der Versorgung von betroffenen Patienten dar. Entwicklungen in der Behandlungstechnik ermöglichen verstärkt auch die Behandlung solcher Patienten im niedergelassenen Bereich oder sogar ambulant bei den Patienten zu Hause. Um hier das Optimum für die Patienten zu erreichen, muss allerdings auch eine vernünftige einheitliche Finanzierung der Leistung unabhängig vom Ort der Leistungsdurchführung sichergestellt sein. Es kann nicht sein, dass Leistungen aus dem niedergelassenen Bereich in die Krankenhäuser verschoben werden, weil man dort zu wenig Geld für die Leistung bekommt und die Spitäler diese Behandlungen ohnehin erbringen müssen.

Franz Bittner: Neben der Qualität der Versorgung spielt auch die Erreichbarkeit der Spitäler eine wichtige Rolle. Welche Wegzeiten sind Patienten zumutbar?

Kern: Generell gilt natürlich, je kürzer desto besser und je akuter, desto kürzer. Die Barmherzigen Brüder sind natürlich bevorzugt, da wir in Gehweite von drei U-Bahn-Linien im Zentrum Wiens liegen. Natürlich empfinden Patienten es als Zumutung, aus dem Südwesten Wiens nach Floridsdorf oder aus dem Norden Wiens in das SMZ Süd reisen zu müssen. Für eine einmalige Behandlung wie zum Beispiel eine Operation wird das sicher eher akzeptiert, als wenn das Spital mehrmals aufzusuchen ist, wie etwa für eine Chemotherapie.

Heinisch: Falls es gelingt, in Hinkunft die Primärversorgung im niedergelassenen Bereich zu stärken, kommt den Wegzeiten zu den Krankenhäusern nochmals eine gänzlich neue Bedeutung zu. Darüber hinaus ist durch die topografischen Unterschiede Österreichs diese Frage abhängig von der Infrastruktur bzw. von der grundsätzlichen Erreichbarkeit von Krankenhäusern zu beantworten.

Franz Bittner: Wo finden Patienten schnell und einfach Informationen, welche Behandlungen wo angeboten werden?

Kern: In erster Linie sollten die zuweisenden Ärzte aus dem niedergelassenen Bereich Klarheit darüber haben, wo welche Behandlungen angeboten werden. Bei Fachärzten wird das auch kein Problem darstellen, denn wir stehen zum Beispiel mit den Fachärzten der bei uns angebotenen Fachrichtungen in regem Informationsaustausch. Über das Internet sind die Informationen auch jetzt schon gut verfügbar. In akuten Fällen kann bei Patienten ohne Internetzugang auch der Ärztenotdienst gute Auskunft erteilen.

Heinisch: Transparenz hinsichtlich der medizinischen Leistungen und der medizinischen Qualität wird in Hinkunft eine wesentliche Rolle spielen. Bereits heute existieren in Deutschland digitale Plattformen, in denen sich Patienten hinsichtlich der verfügbaren medizinischen Angebote für ihr Erkrankungsbild informieren können. Auch in Österreich gibt es bereits Initiativen seitens des Gesundheitsministeriums.

Mag. Helmut Kern, MA ist Gesamtleiter im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Wien.

Dr. Michael Heinisch ist Geschäftsführer und Vorsitzender der Geschäftsleitung der Vinzenz Gruppe.