| Franz Bittner

Schmerzpatienten: Rückkehr in den Job

Wenn es um die Versorgung von Patienten mit chronischen Schmerzen in Österreich geht, herrscht in vielen Bereichen Aufholbedarf. Ein großes und wichtiges Thema ist die Rückkehr in den bisherigen Job und damit in den Arbeitsprozess. Darüber wurde im Rahmen des „Interdisziplinären Schmerzdialogs" an der Medizinischen Universität Wien diskutiert: 

Internationale Studien zeigen, dass die geschätzten Kosten für chronische Schmerzen jährlich zwischen 2 und 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen. Der Großteil davon entfällt auf indirekte Kosten wie Krankenstände oder Produktivitätsausfall. Neben dem Leid für die Betroffenen verursachen chronische Schmerzen also einen enormen volkswirtschaftlichen Schaden, denn chronische Schmerzen beeinflussen bestehende Arbeitsverhältnisse und Arbeitsaussichten. Vor allem die häufigsten Schmerzen – jene am Bewegungsapparat – sind klassische Gründe für einen Rückzug aus der Erwerbstätigkeit und den Eintritt in die Frühpension. In Österreich sind Erkrankungen des Muskuloskelettalsystems, die meist mit Schmerzen wie Rückenschmerzen verbunden sind, für 22 Prozent aller Krankenstandstage verantwortlich.

Ein Drittel aller chronischen Schmerzpatienten ist aufgrund der Schmerzen und der psychischen Belastung berufsunfähig, mehr als ein Fünftel wird in Frühpension entlassen. Die Ursachen dieser Entwicklung liegen in einer mangelhaften Prävention und einer nicht zufriedenstellenden schmerzmedizinischen Versorgung sowie darin, dass die Möglichkeiten der beruflichen Rehabilitation nicht optimal ausgeschöpft werden.

Folgende Probleme und   deren Lösungsansätze haben die Expertinnen und Experten erarbeitet:

Vorgaben für Prävention fehlen

Derzeit ist die Prävention chronischer Schmerzen am Arbeitsplatz oder auch an Schulen weitgehend ungeregelt. Es fehlt an Evidenz und einer konkreten Empfehlung von Maßnahmen, auch die Finanzierung ist nicht geklärt. In dem Zusammenhang wäre über mögliche Anreize wie etwa steuerliche Begünstigungen bei entsprechendem Qualitätsnachweis nachzudenken. Gleichzeitig fehlen entsprechende Förderprogramme für die Wirtschaft zur Berücksichtigung von psychischer Gesundheit, die oft eine Ursache für Schmerzen darstellt.
Unter den Aspekt der Prävention chronischer Schmerzen fällt auch die Behandlung nach Operationen. Mehr als 40 Prozent der weiblichen und fast 30 Prozent der männlichen Patienten haben nach Operationen zu starke Schmerzen. Wenn postoperative Schmerzen nicht ausreichend oder zu spät behandelt werden, erhöht das das Risiko einer Chronifizierung. Die Weiterleitung von Schmerzpatienten nach einer Operation von einem Arzt zum nächsten – egal ob zu früh oder zu spät – anstatt sie adäquat zu behandeln, erweist sich daher als äußerst kontraproduktiv. In diesem Rahmen wäre eine Identifizierung von Kriterien sinnvoll, anhand derer das Risiko zur Schmerzchronifizierung eingeschätzt werden kann. Der Faktor Zeit spielt hier eine wesentliche Rolle, da das Ausmaß der Schmerzlinderung am ersten Tag nach der Operation von entscheidender Bedeutung ist. Eine optimale Versorgung durch einen 24 h-Schmerzdienst, ein einsehbares Schmerzkonzept und eine ausführliche Patientenaufklärung kann postoperative Schmerzen nachweislich verringern.

Erschwerter Zugang zur Schmerztherapie

Neben der Prävention muss auch die berufliche Rehabilitation verbessert werden. Grundvoraussetzung dafür ist eine adäquate Schmerztherapie. Diese scheitert schon allein an einer strukturierten Aufgabenverteilung zwischen intra- und extramuralem Bereich. Krankenhäuser reihen die Schmerztherapie in der Prioritätenliste zu weit hinten. 

Ressourcenmangel wirkt sich daher zuallererst auf die Schmerzambulanzen aus, bei denen man durch Reduzierung der Öffnungszeiten oder Auflösung einzusparen versucht. Die 48 Schmerzzentren in Österreich können derzeit keine flächendeckende Versorgung gewährleisten; auf der anderen Seite herrscht im alternativen Bereich ein Überangebot für Schmerzbehandlung. Defizite gibt es auch in der Datenlage – sowohl in den Spitälern als auch im niedergelassenen Bereich. Von einer Registerführung mit internationaler statistischer Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-Codierung) ist Österreich weit entfernt. Lange Wartezeiten auf Rehabilitation von sechs bis sieben Wochen, eine hohe Ablehnungsquote und die geringe Inanspruchnahme von ambulanter Rehabilitation stellen weitere Erschwernisse dar.

Aufklärung über Wiedereinstiegsmöglichkeiten

Entscheidende Kriterien für eine erfolgreiche berufliche Reintegration sind einerseits das Wissen um die Wiedereingliederungsmöglichkeiten durch medizinisches Personal (Krankenhäuser, Rehazentren und niedergelassener Bereich), andererseits eine Regelung auf betrieblicher Ebene, die den Arbeitnehmern Sicherheit über das Vorgehen ihres Arbeitgebers gibt. Oft mangelt es aber nicht nur den behandelnden Ärzten und Therapeuten, sondern auch den Schmerzpatienten an Wissen über die Optionen, wie zum Beispiel die Möglichkeit der Wiedereingliederungsteilzeit. Diese gibt es zwar in Österreich seit Juli 2017, Betroffene haben derzeit jedoch keinen Rechtsanspruch darauf. Auch begleitende Förderprogramme fehlen. Dazu kommen strukturelle Defizite wie die Leistungen der Arbeitslosenversicherung in Zusammenhang mit der Aufstockung auf die Mindestsicherung, die in ihrer derzeitigen Ausgestaltung keinen Anreiz zur Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess bieten, der Berufsschutz und die beschränkten Umschulungsmöglichkeiten des Arbeitsmarktservice.

Gegen den Schmerz: Was ist zu tun?

Primäres Ziel ist, die Schmerzchronifizierung und den damit oftmals verbundenen Ausfall aus dem Arbeitsprozess zu verhindern. 
Die wichtigsten Ansätze für konkrete Maßnahmen sind:

•       Wiedereingliederungsteilzeit 
Die Wiedereingliederungsteilzeit bietet Schmerzpatienten einen Anreiz, schrittweise in den Arbeitsprozess zurückzukehren. Diese Möglichkeit ist jedoch nur unzureichend bekannt und wird zu wenig genützt. 

     Das Bewusstsein für Wiedereingliederungsteilzeit muss bei allen Betroffenen geschaffen werden, zum Beispiel in Form einer bundesweiten Informationskampagne. Hier gibt es nicht nur Defizite bei den Patienten, sondern auch bei behandelnden Ärzten und Arbeitgebern.

     Schmerzpatienten sollten einen Rechtsanspruch auf Wiedereingliederungsteilzeit haben.

     Die Umschulungsmöglichkeiten des Arbeitsmarktservice sollten in Hinblick auf Wiedereingliederungsteilzeit besser ausgeschöpft werden.

•       Bonus bei erfolgreicher Therapie

Therapeuten und therapeutische Einrichtungen sollten neben einer Pauschalabgeltung nach Erfolg honoriert werden: Wenn der Schmerzpatient nach Therapie wieder in den Arbeitsprozess zurückkehrt, erhält der Therapeut einen Bonus.

•       Versorgungsauftrag
Eine tragende Rolle bei der Vermeidung von Produktivitätsausfällen durch chronische Schmerzen spielt die Schmerzversorgung generell. Eine adäquate primäre Schmerzversorgung trägt wesentlich zur Prävention der Schmerzchronifizierung bei, die einen Hauptgrund für den Ausstieg aus dem Arbeitsprozess darstellt. Konkrete Maßnahmen dazu wurden bereits im Teil zur Schmerzversorgung dargestellt.

•       Einführung eines Betreuungs- und Therapieprogramms für Schmerzpatienten
Ein individuelles Programm für Schmerzpatienten bedeutet eine intensivere und strukturierte Betreuung und vermittelt den Patienten mehr Wissen über Schmerz. 

–       Die Sozialversicherung sollte in Anlehnung an das bereits existierende Diabetesprogramm „Therapie Aktiv“ ein „Schmerz Aktiv Programm“ einführen.

•       Geförderte Maßnahmen zum Erhalt psychischer Gesundheit
Es sollten Förderprogramme für Unternehmen zur Berücksichtigung der psychischen Gesundheit konzipiert und umgesetzt werden. Diese Maßnahmen haben positive Effekte auf die Gesundheit der Mitarbeiter und können Schmerz vorbeugen, da die Ursache für Schmerz oft in der psychischen Gesundheit liegt. Sie tragen somit dazu bei, Mitarbeiter länger im Arbeitsprozess zu halten.