Jedes Jahr beantragen rund 400.000 Menschen eine Reha. Die Rehabilitation dient nicht nur dazu, Menschen nach körperlicher Beeinträchtigung wieder fit für die Arbeit zu machen, sondern ihnen die Rückkehr zu Alltag und Gesellschaft zu ermöglichen. Auf Einladung der Mediengruppe Österreich diskutierten Prim. Dr. Gabriele Eberl, Dr. Martin Fuchs, Dr. Hannes Schoberwalter und Univ. Lekt. Dr. Ralf Harun Zwick mit Patientenombudsmann Franz Bittner über die Rehabilitation in Österreich – Erreichen die Reha-Maßnahmen das Ziel? Gibt es genügend Einrichtungen, und wie wichtig ist die neue ambulante Rehabilitation?
Franz Bittner: Erreichen wir mit Rehabilitationsmaßnahmen das Ziel, Menschen wieder in den Arbeitsprozess einzugliedern oder länger im Arbeitsprozess zu halten und erreichen wir auch bei Pensionisten eine Verbesserung des Gesundheitszustandes?
Prim. Dr. Gabriele Eberl: Ich arbeite im Bereich des Bewegungs- und Stützapparates bei der stationären Rehabilitation und ich bin absolut überzeugt, dass wir einen Großteil der Patienten mit unseren Reha-Maßnahmen erreichen, die wieder motiviert in den Arbeitsprozess zurückzukehren und manchmal länger im Arbeitsprozess bleiben. Ein Teil der Patienten hat aber eine negative Prognose für diesen "return to work". Diese Patienten gilt es rechtzeitig herauszuholen bzw. herauszufiltern, um mit ihnen dann speziell zu arbeiten.
Bittner: Das passiert im Rahmen der Rehabilitation?
Eberl: Es passiert zum Teil unter der Rehabilitation, aber im Idealfall sollte es natürlich schon vorher passieren. Was sind Anzeichen, dass jemand dann möglicherweise nicht so erfolgreich sein wird? Wenn der Patient schon relativ mutlos in die Reha hineingeht, wenn er im Vorhinein schon sagt „Nein, ich schaffe das nicht“ oder schon mehrmals im Jahr im Krankenstand war. Das sind Alarmzeichen, dass man sich mit diesen Patienten schon vorher auseinandersetzen müsste und sie während der Rehabilitation motivieren muss.
Bittner: Wer sollte das im Vorfeld einer Reha tun?
Eberl: Zum Beispiel der Arzt, der die Verordnung ausstellt, da der Patient zu seinem Hausarzt in der Regel Vertrauen hat. Es wäre sehr wichtig, von Anfang an mit dem Patienten intensiv zu sprechen, um auszuloten, was die Reha-Ziele sind, was der Patient erreichen will, und was er erreichen muss, damit er beispielsweise an seinem Arbeitsplatz bleiben kann. Da wird es in Zukunft noch Änderungen bedürfen. In Deutschland gibt es Projekte, die die medizinische Rehabilitation mit beruflich orientierter Reha kombinieren. Ich bin überzeugt, dass das auch bei uns noch intensiver kommen wird. Kollegen aus Deutschland haben berichtet, dass bei Patienten mit solch einer kombinierten Reha, eine um 30 Prozent höhere „return to work“- Rate erreicht werden kann.
Bittner: Herr Fuchs, Sie und Ihre Mitarbeiter entscheiden, ob dem Versicherten eine Rehabilitation zusteht. Haben Sie Erfahrung, wie erfolgreich die Rehabilitationen sind?
Dr. Martin Fuchs: Die größten Erfolge haben wir bei Patienten nach Akutereignissen wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder Implantationen von Prothesen. Unser Ziel ist es, diese Menschen nach Abschluss einer stationären Krankenbehandlung wieder fit zu machen. Den Patienten nach einer Operation wieder körperlich und psychisch so weit zu ermächtigen, seine Arbeitstätigkeit wieder zu erreichen. Ein weiteres Ziel der Rehabilitation ist auch, im Leben und in der Gemeinschaft wieder einen normalen Platz einzunehmen. Die SVA finanziert auch Rehabilitationen bei Pensionisten, da es unser Ziel ist, dass diese Menschen wieder ihren angestammten Platz in der Gesellschaft finden. Diese Form der Rehabilitation bezeichnen wir auch als Anschlussheilverfahren.
Bittner: Wird bei der Zuerkennung einer Reha ein Unterschied zwischen Berufstätigen oder Pensionisten gemacht?
Dr. Fuchs: Die SVA macht keine Unterschiede.
Bittner: Mit Ausnahme jener Patienten, die medizinisch nicht zu rehabilitieren sind.
Dr. Fuchs: Genau darum geht es. Wir schaffen es, bei 80-jährigen Menschen, die einen Oberhalsschenkelbruch erlitten haben, diese wieder so zu mobilisieren, dass sie ihre gewohnten Tätigkeiten wie Einkauf oder Haushalt so erledigen können, dass möglichst wenig Bedarf für fremde Betreuung oder Pflege vorhanden ist. Bei Menschen, die überwiegend pflegebedürftig sind, ist eine Rehabilitation medizinisch meist nicht mehr möglich.
Bittner: Gibt es Zahlen wie viele Menschen durch Rehabilitationsmaßnahmen wieder in den Arbeitsprozess gebracht werden, ist die PV erfolgreich?
MR. Dr. Hannes Schoberwalter: Wir sind erfolgreich, da sich am Ende der Maßnahmen zeigt, ob der Betroffene einen Fortschritt gemacht hat oder nicht. Es ist natürlich so, dass bei jüngeren Patienten der Erfolg höher ist als bei Älteren. Der Erfolg hängt natürlich auch vom Ereignis ab, das vorher stattgefunden hat. Der Schlaganfall hat viele Facetten. Das kann eine Sprachstörung sein oder bis zu dem Punkt gehen, dass jemand halbseitig oder vollständig gelähmt ist. Das bedeutet, dass die Intensität und Form der Rehabilitation unterschiedlich ist. Daher ist in solchen Fällen auch die stationäre Reha ganz entscheidend. Der Patient muss tagsüber intensiv behandelt werden und hat ein volles Programm. Wenn man Beispiele aus dem orthopädischen Bereich nimmt, wie die Reha nach der Operation einer Hüft- oder Knieprothese, da sind wir sehr erfolgreich. Die Leute sind rasch mobil und können wieder ihre beruflichen Tätigkeiten aufnehmen. Allerdings gibt es auch Umstände, die bezüglich der Einheilung Verzögerungen darstellen. Eine starke Osteoporose kann entsprechende Auswirkungen auf den Heilungsprozess haben. Ein wichtiger Parameter ist auch, wie viel Zeit bis zur Rehabilitation vergeht. Wenn der Patient eine Totalprothese bekommen hat, wäre es sinnvoll, vier bis sechs Wochen nach der Operation die Rehabilitation zu beginnen. Es ist wichtig, dass der Patient – durch die Therapie – rasch seine Mobilität zurückbekommt.
Dr. Fuchs: Bei älteren, schlecht-mobilen Patienten wäre es wichtig, zwischen Krankenhausentlassung und Beginn der stationären Rehabilitation eine Kurzzeitpflege zu ermöglichen, um die Zeit dazwischen sinnvoll zu nützen. Das fehlt uns in unserem Gesundheitswesen noch. Da wären die Bundesländer gefordert, uns solche Einheiten zur Verfügung zu stellen.
Bittner: Das würde bedeuten, dass der physikalische und physiotherapeutische Bereich in solchen Kurzzeitpflegeeinrichtungen ausgebaut gehört, um die verlorene Muskelmasse wieder aufzubauen, um die Anschlussrehabilitation erfolgreich durchführen zu können.
Dr. Schoberwalter: Die Rehabilitation entwickelt sich derzeit in Richtung Individualisierung. Wir hatten über viele Jahre die Patienten in „Rehaschubladen“. Speziell ältere Patienten haben oft mehrere Erkrankungen, auf die Rücksicht genommen werden muss. Ich kann nicht das gleiche Maß an Anstrengung von einem Menschen erwarten, der 70 Jahre alt, schwer herzkrank ist und einen Oberschenkelhalsbruch erlitten hat. Den kann man nicht so „dahin jagen“ wie einen 45-Jährigen, der eine Endoprothese bekommen hat.
Dr. Fuchs: Oder den 70-Jährigen, der vorher noch auf Skitour war.
Dr. Schoberwalter: Für die Zukunft wäre es nötig, ein modulares System aufzubauen, das eine Basisstruktur beinhaltet, um für die Patienten mehr Behandlungsflexibilität zu schaffen. Individuell hätten wir dann für jene Patienten die Optionen, um auf deren Begleiterkrankung besser einzugehen, damit die Reha möglichst effizient ist.
Dr. Eberl: Hier wäre auch eine gute Vernetzung zwischen den Zuweisern und den Rehabilitationseinrichtungen wichtig. Da gibt es Verbesserungsbedarf. Man könnte dann die Reha besser vorbereiten. Es wäre zielführend, den ganzen Prozess mit den Zuweisern gemeinsam zu erarbeiten. Da gibt es noch Schulungsbedarf.
Bittner: Schulungsbedarf für wen?
Dr. Eberl: Für die Zuweiser. Viele wissen gar nicht, was in der Rehabilitation geschieht, was mit den Patienten gemacht wird und vor allem, welche Voraussetzungen der Patient mitbringen muss, wenn er Begleiterkrankungen hat oder es zu Komplikationen nach der Operation kam. Es gibt Situationen, da hatte der Patient nach der Operation eine Lungenembolie und dann heißt es: „Na Sie gehen eh zur Reha, die werden Ihnen dort schon helfen“. Dann kommt der Patient und wir können keine Reha machen. Daher wäre eine gute Vernetzung zwischen uns Ärzten notwendig. Dadurch würde der Patient am Ende natürlich profitieren.
Bittner: Die Versicherten und Patienten haben auch die Möglichkeit der Ambulante Rehabilitation. Ist diese als Anschluss an die stationäre Rehabilitation gedacht? Herr Professor Zwick, Sie sind Experte in diesem Bereich, wie sehen Sie die Zukunft der Ambulanten Rehabilitation?
Dr. Ralf Harun Zwick: Ich möchte noch auf das vorher Gesprochene eingehen und hätte gerne, dass wir diese Gliederungen beenden und sagen, der Kernpunkt ist im Grunde immer derselbe: Es gibt Physiotherapie, es gibt medizinische Trainingstherapien. Da steckt überall der Begriff „Therapie“ drinnen. In der Primärprävention hilft eine Trainingstherapie frühzeitig und der Patient wird vielleicht erst gar keinen Schlaganfall oder Herzinfarkt bekommen. Im Akutfall müssen wir dann sowieso etwas unternehmen, aber die Physiotherapie und die Trainingstherapie bleiben gleich. Leider sind diese Begrifflichkeiten nicht gegeben. Einer redet von der Kur und der Andere redet von der Reha. In Wirklichkeit kennt sich keiner aus, doch im Grunde ist es immer dasselbe. Es gibt dort Physiotherapeuten, es gibt Trainingstherapeuten und es gibt dort Ärzte. Die Grundidee ist immer dieselbe, ob ich für einen Marathon trainiere oder der Patient einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt gehabt hat. Für einen Patienten nach einem Schlaganfall oder Herzinfarkt ist der Gang zum Supermarkt sein persönlicher Marathon und das muss er wieder schaffen. Für den jungen Asthmatiker ist wichtig, dass er wieder Sport machen kann und für den 75-jährigen Patienten, der sich den Schenkelhals gebrochen und eine Pulmonalembolie hatte, ist es wichtig, dass er seinen täglichen Tätigkeiten wieder nachgehen kann. Deswegen ist für mich diese Begrifflichkeit so wichtig. Das gehört alles zur Therapie. Das wird von manchen Ärzten nicht so gesehen. Die Patienten wissen es nicht, weil es die Ärzte nicht wissen. Wir Ärzte sind gewohnt zu evaluieren. Wir entscheiden nicht nach Gefühl, sondern es gibt einen Anfangswert und einen Endwert. Dazwischen muss sich etwas verbessern. Es ist egal, ob ich den Patienten auf den „Marathon“ trainiere oder ob ich ihn rehabilitiere, nachdem er ein schweres Ereignis gehabt hat. Man muss unterscheiden, ist es ein akutes Ereignis oder ist es eine chronische Erkrankung? Das sind für mich die zwei grundlegenden Felder und das ist natürlich kompliziert, weil unsere Gesellschaft immer älter wird und wir immer mehr chronisch kranke Menschen haben. Ich komme eben aus dem Akutspital, da haben 70 Prozent der Patienten neurologische Erkrankungen wie Demenz. Da kommen Erkrankungen auf uns zu und wir wissen gar nicht, wo wir hinsteuern. Chronisch kranke Menschen sind im Schnitt an die 65 Jahre alt. Das bedeutet, sie sind gerade am Übergang vom Arbeitsleben ins Pensionsleben. Es gibt für mich keinen Unterschied zwischen Berufstätigen und Pensionisten, es macht auch medizinisch keinen Sinn diese Unterscheidung zu treffen. Daher ist die Rückführung in das Berufsleben für mich nicht im Vordergrund, sondern, dass die Menschen durch eine effektive Rehabilitation wieder ihren persönlichen wie auch ihren beruflichen Alltag meistern können.
Bittner: Gibt es nach der Aussage von Prof. Zwick unterschiedliche Auffassungen?
Dr. Schoberwalter: Wenn es darum geht, was zu tun ist, dann ist es letztendlich egal, ob der Mensch jung oder alt ist. Die „Werkzeuge“, die eingesetzt werden, sind dieselben. Nur die Frage in welcher Qualität und in welcher Intensität muss ich sie einsetzen, da gibt es Unterschiede. Das heißt, es gibt einen Kernbereich, dieser wird immer angeboten und ist betreffend der Bedürfnisse der Patienten erweiterbar.
Einen Patienten nach einer Meniskusoperation muss man nicht so intensiv behandeln wie einen Patienten mit einem Oberhalsschenkelbruch. Da ist eine ambulante Behandlung vertretbar. Wenn der Schaden ein größeres Ausmaß erreicht, brauchst du den Patienten natürlich länger bei dir und das geht nur mittels stationärer Maßnahme. Was aber stationär erreicht wurde, sollte auch gefestigt werden. Kann dies der Patient nicht selbsttätig, dann sollte dieser noch eine ambulante Reha absolvieren, damit das Erlernte weiter gefestigt wird.
Zwick: Die ambulante Rehabilitation ist erst jung und wir haben in Österreich das Glück, dass wir seit Jahrzehnten hervorragende stationäre Rehabilitation machen. Die ambulante Reha ist etwas Neues und kann als Ergänzung eingesetzt werden.
Dr. Fuchs: Für mich ist der Begriff „Selbstverantwortung“ auch sehr wichtig, das hat mir ein bisschen gefehlt. Es muss die Person auch selbst etwas dazu tun, nämlich mitmachen. Wir haben im Bereich der SVA Gesundheitsziele und wenn Versicherte die definierten Ziele erreichen, müssen sie nur mehr den halben Selbstbehalt bezahlen.
Bittner: Das kann man nur bei jenen Trägern machen, wo der Versicherte 20 Prozent Selbstbehalt zahlen muss.
Dr. Fuchs: Das ist mir klar. Es ist aber auch wünschenswert, dass jeder Mensch gesundheitlich für sich selbst etwas machen kann. Ich kann mich nicht nur auf die Gesellschaft, den Arzt, das Krankenhaus und auf das Rehabilitationszentrum verlassen. Wir sehen tagtäglich jene motivierten Patienten, die in kurzer Zeit wieder tolle körperliche Tätigkeiten vollbringen können, aber auch die schlecht motivierten Patienten, deren Gesundheitszustand trotz intensiver Therapie sich nicht wesentlich verbessert.
Bittner: Haben wir genügend Rehabilitationseinrichtungen und genügend Zeit für die Patienten?
Dr. Eberl: Ja, wir haben genügend Rehabilitationseinrichtungen. Es ist aber auch wichtig, dass die Patienten in die für sie richtige Reha-Einrichtung kommen und flexibel behandelt werden können. Also etwas weg von den starren 22 Tage-Bewilligungen. Für den einen sind sie zu kurz, für den anderen zu lange. Da könnte man auch die Ressourcen etwas besser verteilen, aber das ist natürlich ein zusätzlicher administrativer und auch ein personeller Aufwand.
Dr. Fuchs: Der Patient kann dies verlangen. Wenn er das rechtzeitig beantragt, ist das kein Problem.
Dr. Eberl: Aber genauso gäbe es vielleicht den einen oder anderen, wo man auch mit einer kürzeren Therapiedauer das Ziel erreicht.
Dr. Zwick: Was die chronischen Erkrankungen betrifft, steht in fast allen Guidelines, dass die Patienten sechs, acht oder 12 Wochen Rehabilitation bekommen sollten. Ich glaube stationäre Rehabilitationszentren haben wir genug, ambulante Rehabilitationszentren könnten wir noch das eine oder andere brauchen. Dann haben wir eine perfekte Versorgung von chronisch kranken internistischen Patienten, was die Zusammenarbeit von stationärer und ambulanter Rehabilitation betrifft.
Die Experten – Runde:
Prim. Dr. Gabriele Eberl, MBA ist Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie und ärztliche Direktorin im Klinikum Malcherhof Baden.
Dr. Martin Fuchs ist Arzt für Allgemeinmedizin und leitender Arzt der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft.
Senator Mr. Dr. Hannes Schoberwalter ist Arzt für Allgemeinmedizin und Mitglied im Senat der Wirtschaft.
Univ.Lekt. Dr. Ralf Harun Zwick ist ärztlicher Leiter der ambulanten Pneumologischen Rehabilitation in der Therme Wien.