| Franz Bittner

Runder Tisch: Bluthochdruck ernst nehmen!

Fast jeder vierte Österreicher leidet an Bluthochdruck. Ab dem 60. Lebensjahr ist sogar jeder Zweite betroffen. Viele wissen jedoch nicht, dass sie unter Hypertonie, so der Fachbegriff, leiden. Auf Einladung der Mediengruppe Österreich diskutierten Univ.-Prof. Dr. Manfred Maier, Prim. Dr. Johann Sipötz, Dr. Naghme Kamaleyan-Schmied, MR Dr. Kurt Weisser und Diätologin Mag. Caroline Sonnenberg unter der Leitung von Patientenombudsmann Franz Bittner über die Volkskrankheit Bluthochdruck.

Franz Bittner: 21 Prozent der Österreicher leiden an Bluthochdruck. Insgesamt sind mehr Frauen als Männer betroffen. Warum haben Frauen schlechtere Blutdruckwerte und warum sterben mehr Frauen an Herz-Kreislauferkrankungen als Männer, obwohl die Mortalität bei Herz-Kreislauferkrankungen sinkt?

Univ.Prof. Dr. Manfred Maier: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sagt global, dass ungefähr 40 Prozent aller Personen einen hohen Blutdruck haben. Wir sind also grundsätzlich, was den hohen Blutdruck betrifft, nicht schlecht aufgestellt.
Zur Frage „Warum sterben mehr Frauen als Männer an Herz-Kreislauferkrankungen“? Da ist der Blutdruck nur einer von mehreren Risikofaktoren, die dazu beitragen, dass man an einer Herz-Kreislauferkrankung verstirbt. Übergewicht oder viele andere Dinge gehören auch dazu.

Prim. Dr. Johann Sipötz: Frauen haben oft die Neigung, später zum Arzt zu gehen als Männer. Sie empfinden Symptome anders, haben eine etwas höhere Reizschwelle und sie haben oft eine Doppelbelastung durch Beruf und Familie. Verringert sich später durch die Menopause der Östrogenschutz, dann kann es zur Hypertonie kommen. Da der Hochdruck zunächst nicht spürbar ist, merkt die Patientin diesen erst bei Folgeschäden. Als Arzt stellt sich dann die Frage, wie kann man bei der Patientin die Mitarbeit stärken? Da wird zum Beispiel die Lebensmodifikation eine der wesentlichen Umstellungen sein, nicht immer ist es sofort eine medikamentöse Behandlung.

Dr. Naghme Kamaleyan-Schmied: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Wahrnehmung des Bluthochdrucks bei Frauen anders ist, als bei Männern. Viele Frauen sind, als sie jung waren, ständig umgekippt, weil der Bluthochdruck extrem niedrig war. Wahrgenommen wurde nur der niedrige Blutdruck in der Vergangenheit. Was die Akzeptanz betrifft, habe ich die Erfahrung gemacht, dass Frauen besser mitarbeiten als Männer. Die Männer haben zwar am Beginn der Diagnose ein „schlechteres“ Gewissen, fangen exzessiv zum Sporteln an und versuchen oft, ihr Gesundheitsverhalten radikal zu ändern. Den meisten gelingt es aber nur für kurze Zeit. Frauen stellen ihre Lebensgewohnheiten kontinuierlicher um.

Dr. Kurt Weisser: Die Statistik ist eine Wahrnehmung, die Realität in der Ordination oft eine andere. In meiner Ordination, wie auch bei meinen Kollegen im 22. Bezirk, haben rund 50 Prozent der Patienten Migrationshintergrund. Wenn man als Hausarzt die Familienverhältnisse seiner Patienten kennt, ist es möglich, individuell auf ihre Bedürfnisse einzugehen. Ein Patient benötigt eine Bewegungstherapie, der andere mehrere Gespräche über seine Erkrankung und der Dritte benötigt sofort eine medikamentöse Behandlung. Zusätzlich haben wir in Wien große sozioökonomische Unterschiede. Ich war auch in Döbling als Allgemeinmediziner in einem Pensionistenwohnheim tätig, da war die Hypertonie-Diagnostik eine ganz andere als in meiner Ordination im 22. Bezirk. Bei den Bewohnern in Döbling war die Thematik Hochdruck zu 90 Prozent vorhanden, wer nicht fünf bis sechs Medikamente hatte, der war nicht „high-sophisticated“ therapiert.

Bittner: Frau Sonnenberg, wie sehen Sie als Diätologin die Problematik?

Mag. Caroline Sonnenberg: Die Wahrnehmung oder das Bewusstsein für Bluthochdruck ist bei Frauen nicht so präsent wie bei Männern, weil man es meistens mit den klassischen Symptomen assoziiert. Frauen haben schnell mal Rückenschmerzen oder Magenzwicken. Sie deuten daher ihre körperlichen Probleme oft falsch und bagatellisieren sie. Für manche Frauen ist auch der Zugang zum Gesundheitssystem schwierig. Viele Frauen mit Migrationshintergrund haben keinen Bezug oder keinen direkten Zugang zum Gesundheitssystem. Dadurch werden wichtige Untersuchungen nicht durchgeführt.

Bittner: Wie stark wirken sich Bildung und das sozioökonomische Umfeld auf die Gesundheit aus?

Mag. Sonnenberg: Die Bildung spielt sicher eine Rolle, wenn es um das Verständnis und Bewusstsein für Lebensmittel, die Ernährung und die in den Produkten enthaltenen Stoffe geht. Es werden immer mehr Fertigprodukte gekauft. Fertigprodukte sind bezogen auf ihren Salzgehalt die Spitzenreiter. Die übermäßige Kochsalzzufuhr ist ein wesentlicher Faktor für die Entstehung von Bluthochdruck. Auch haben Fertigprodukte maßgeblichen Anteil am überhöhten Körpergewicht.

Dr. Sipötz: Geringes Einkommen und geringere Bildung sind große Risikofaktoren. Es ist oft schwierig einem Patienten mit akutem Herzinfarkt, der einen Herzkatheter bekommt, zu erklären, dass er nicht mehr rauchen soll! Da dringen Sie bei Menschen mit höherer Bildung eher durch als bei bildungsfernen Personen.

Bittner: Frau Dr. Schmied, haben Sie überhaupt genügend Zeit über solche Themen mit ihren Patienten zu sprechen und sie zu beraten?

Dr. Kamaleyan-Schmied: Oft nehme ich mir die Zeit, aber nicht immer reicht sie. Es ist schade, dass es im Rahmen der Hypertonie keine Schulungsprogramme wie bei Diabetes gibt. Solch ein Programm würde ich mir für Hypertoniker wünschen, damit ich mich mit meinen Patienten in kleinen Gruppen zusammensetzen, eine Präsentation machen und erklären kann, was die Ursachen für Bluthochdruck sind. Das Erkennen von Bluthochdruck ist eher ein Zufallsbefund. Wenn ich einem Patienten sage, er könnte einen Schlaganfall bekommen und die Ursache ist der zu hohe Bluthochdruck, dann bekommt er große Augen. Dieses Wissen ist in den Köpfen vieler Menschen nicht verankert.

Dr. Weisser: Solche Disease-Management-Programme machen Sinn. Ich denke, dass ein besserer medizinischer Zugang über diese Programme möglich wäre.

Bittner: Nicht immer gab es solche Aussagen, oft wurde die Bürokratie solcher Programme kritisiert.

Dr. Weisser: Es stimmt, die Bürokratie ist etwas aufwendig, nicht der Inhalt. Für uns Ärzte und für die Patienten wäre solch ein Programm eine Erleichterung. Ein großartiges Tool haben wir Ärzte jetzt schon, das ist die Vorsorgeuntersuchung. Für mich als Allgemeinmediziner ist es Standard, dass ich bis zu 70 Prozent meiner Patienten mindestens einmal in zwei Jahren sehe. Den Großteil der über 50-Jährigen untersuche ich jährlich. Die Vorsorgeuntersuchung ist ein tolles Programm, um Hypertonien herauszufiltern.

Bittner: Herr Professor Dr. Maier, welche Vorschläge gibt es von der Wissenschaft für die Allgemeinmedizin und für das Gesundheitssystem? Sind die Primary Health Care Centers (PHC) die Ordinationen der Zukunft?

Dr. Maier: Es ist keine Frage, dass unser System auf einen Massenbetrieb abzielt und den Arzt mehr oder weniger dazu zwingt. Das hat zur Folge, dass zu wenig Zeit bleibt, um Aufklärung über die Erkrankung zu betreiben. Eine der Möglichkeiten wäre ein “Disease-Management Programm”. Ein anderer möglicher Weg wäre, dass man – so wie es jetzt diskutiert und geplant wird – aus der Einzelpraxis eine größere, multidisziplinäre Einheit macht. Da könnte man verschiedene Aspekte von der Ernährungsberatung bis zur Aufklärung und Patientenschulung unterbringen.

Dr. Kamaleyan-Schmied: Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärzten und anderen medizinischen Fachleuten – unter Leitung des Hausarztes – wäre für die betroffenen Patienten wichtig. Der Arzt muss nicht den Ernährungsplan erstellen, das könnte die Diätologin übernehmen. Leider werden die Kosten der Diätologen von den Kassen nicht übernommen. Durch die Selbstfinanzierung ist diese Schwelle für viele Menschen unüberbrückbar.

Bittner: Die geplanten „Primary Health Care Center“ sollen zusätzlich zu den Ärztinnen und Ärzten mit medizinischem Fachpersonal besetzt werden.

Mag. Sonnenberg: Es wäre eine sinnvolle Ergänzung, wobei die „Primary Health Care Center“ unter Vorbehalt zu sehen sind, da nicht jede Berufsgruppe hineingenommen wird.

Bittner: Der überwiegende Teil der Versicherten kann keine Privatleistungen finanzieren und will dies auch nicht. Die Menschen erwarten sich von ihrem System – und dies zurecht – dass sie medizinisch gut versorgt werden. Wären vorgegebene Guidelines und Leitlinien eine Lösung?

Dr. Weisser: Guidelines zu haben ist gut, sie zu kennen und sie verlassen zu dürfen noch besser, da ich Rücksicht auf die jeweilige Situation der Patienten nehmen muss. Bei 70 Prozent aller Patienten schaffe ich es ohne Probleme, sie zu den vorgegebenen Untersuchungen wie Augenarzt, Blutabnahme usw. zu bewegen. Ab dann wird es schwierig, da helfen mir Leitlinien auch nicht. Bei den restlichen 30 Prozent muss ich individuell vorgehen, um sie zu den notwendigen Untersuchungen zu bewegen. Mein Traum wäre es, ein Budget von den Kassen für Ernährungsberatung unserer Patienten zu haben. Ich bin ein Anhänger von dezentralen Ordinationen, kann mir aber eine Zusammenarbeit mit unterschiedlichem medizinischen Fachpersonal sehr gut vorstellen. Eine Vernetzung mit Diätologen, Kardiologen, Physiotherapeuten, Sozialarbeitern usw. wäre sinnvoll.

Bittner: Ein Budget von den Krankenkassen, ähnlich dem Ordinationsbedarf für leistungsbezogene Präventionsmaßnahmen?

Dr. Weisser: So ist es. Würde man das Geld, das von der Stadt Wien und den Kassen in ein PHC gesteckt wird – diese 210.000 Euro – auf sieben Ärzte aufteilen, hätte jeder 30.000 Euro jährlich zur Verfügung.

Dr. Kamaleyan-Schmied: Die Behandlung unserer Patienten beruht auf sehr großem Vertrauen in uns Ärzte. Dieses Vertrauen kann ich nicht mit Richtlinien aufwiegen. Man muss den Patienten auch dort abholen, wo er gerade ist.

Dr. Maier: Ich muss jetzt etwas nachhaken, um das zu unterstreichen, was der Kollege Weisser gesagt hat. Es gibt einen etablierten Namen für diesen Vorschlag: Es ist das, was man im Grunde als „personalisierte Medizin“ bezeichnet. Wenn man die Definition der allgemeinen Medizin in Europa betrachtet, dann ist eines der Kernelemente die „Person Centered Medicin“, das bedeutet, auf die Person zugeschnitten. Das schließt nicht aus, dass ich Leitlinien umsetze, wenn es passt. Es muss aber genauso möglich sein, dass ich eben unter bestimmten Bedingungen abweiche, weil der Patient unter anderen Bedingungen besser betreut wird.

Bittner: Der Allgemeinmediziner ist noch immer ein Einzelkämpfer. Hätte es nicht etwas für sich, wenn es Ärztezirkel als Konzil für Patienten gäbe?

Dr. Maier: Diese Besprechung um das Konzil findet jetzt schon in bestimmten Fällen statt, die ich mit dem Kollegen Internisten oder Neurologen bespreche.

Dr. Kamaleyan-Schmied: Wir würden uns wünschen, dass wir ein bestimmtes Kontingent an verschiedenen Leistungen – wie Physiotherapie und Ernährungsberatung – zur Verfügung haben und solche Leistung auch unseren Patienten garantieren können.

Dr. Weisser: Es wäre ein großer Vorteil, weil ich Prioritäten setzen könnte.

Mag. Sonnenberg: Jeder erkennt, dass Ernährung eine wichtige Rolle spielt. Einer der wesentlichsten Faktoren der Ernährungsberatung ist das Gewichtsmanagement. Beim metabolischen Syndrom, das ja mit dem Blutdruck zusammenspielt, wäre eine Beratung sehr wichtig. Es wird uns zwar immer gesagt, wir sollen mit Zentren zusammenarbeiten, wenn es solche überhaupt gibt. Weiters stellt sich die Frage, ob die überhaupt Diätologen unter Vertrag nehmen. In den PHC werden derzeit – es gibt ja erst zwei solcher Einrichtungen in Wien – nur Pflegekräfte eingesetzt und keine Diätologen. Unsere Forderung an das Gesundheitssystem lautet: Wir wollen als fixer Bestandteil in solche Teams miteinbezogen werden.

Dr. Maier: Vielleicht sehe ich das zu optimistisch. Im Modell, das vom Hauptverband für die PHC-Modelle existiert, sind Diätologen vorgesehen. Im Zuge eines noch zu schnürenden Gesamtpakets für ein Netzwerk wird es auch eine Finanzierung geben müssen.

Bittner: Sind unsere Ärzte im niedergelassenen Bereich genügend ausgebildet, um Herz-Kreislauferkrankungen zu managen und haben wir genügend Qualität und Plätze in der Rehabilitation?

Dr. Sipötz: Zum ersten Teil der Frage: ja. Zum zweiten Teil: nein. Ich erlebe immer wieder, dass Patienten von Allgemeinmedizinern mit der richtigen Verdachtsdiagnose in unsere Ambulanzen überwiesen werden. Bei den Rehabilitationseinrichtungen haben wir das Problem, dass wir relativ wenige ambulante Einrichtungen haben und die nur für Berufstätige zuständig sind. Pensionisten, die Zeit und Motivation haben, etwas für ihre Gesundheit zu tun, aber entsprechende Anleitungen benötigen, für die hätten ambulante Rehabilitationseinrichtungen durchaus einen vernünftigen gesundheitspolitischen Sinn.

Bittner: Herr Prof. Maier, wie sieht es bei den jungen Ärzten aus?

Dr. Maier: Danke für den Hinweis. Genau darauf wollte ich jetzt eingehen. Ich schließe mich natürlich an und bin auch fest überzeugt, dass alle Daten die es gibt, letztendlich zeigen, dass unsere Ärzte ihre Patienten adäquat betreuen können. Unsere Gesundheitsdaten sind ja vergleichbar mit mitteleuropäischen Ländern. Allerdings muss ich schon sagen, dass ich aus meiner universitären Sicht in der akademischen Grundausbildung für zukünftige Mediziner einige Mankos sehe. Die Grundausbildung ist nicht mehr zeitgemäß und die Weiterbildung lässt auch zu wünschen übrig, da sind wir international ins Hintertreffen geraten. Da müssen wir uns verbessern.

Dr. Kamaleyan-Schmied: Ich denke, dass wir unsere Patienten gut versorgen. Was uns fehlt, ist die Zeit. Wir sollten die Sinne der Patienten für den Bluthochdruck stärker schärfen, damit sie eine Ahnung davon bekommen, welche Folgeschäden entstehen können.

Dr. Weisser: Zur verbesserten Ausbildung sage ich ja. Entscheidend sind die eigene Motivation und die Fähigkeit, Patienten zu motivieren. Mein Wunsch wäre die reflektierte Umgangsform: Wie wirke ich auf schwierige Patienten, will ich den weiter betreuen? Das zu erlernen, wäre für Ärzte wichtig.

Bittner: Frau Sonnenberg, in Rehabilitationseinrichtungen ist Ihre Professionalität sehr gefragt, dort wird diese Leistung auch angeboten. Welche Meinung haben Sie zu den Rehabilitationseinrichtungen?

Mag. Sonnenberg: Für die Patienten ist die Rehabilitation ein wichtiger Faktor, da der Patient einen ganz anderen, einen intensiveren Bezug zur Thematik bekommt, als in der Ordination seines Hausarztes.

Die Experten-Runde:

Univ.-Prof. Dr. Manfred Maier: Allgemeinmediziner und Facharzt für Physiologie, Leiter der Abteilung Allgemeinmedizin und Familienmedizin an der Medizinischen Universität Wien

Mag. Caroline Sonnenberg, BSC: selbstständige Diätologin, bietet ernährungsmedizinische Therapie und Beratung.

Prim. Dr. Johann Sipötz: Facharzt für Innere Medizin, Abteilungsvorstand der 2. Medizinischen Abteilung Kardiologie im Hanusch-Krankenhaus.

Dr. Naghme Kamaleyan-Schmied: Ärztin für Allgemeinmedizin, spezialisiert auf Ernährung, Notfallmedizin und Substitutionsbehandlung.

Dr. Kurt Weisser: Arzt für Allgemeinmedizin, Additiv-Facharzt für Geriatrie