Die Anfragen nach einem Hausarzt oder -ärztin einer Kinderordination haben 2021 extrem zugenommen. In vielen Bezirken Wiens werden von KinderärztInnen keine neuen Patientinnen und Patienten aufgenommen. Stellen sie sich vor, wie belastend diese Situation für junge Eltern ist! Speziell bei den KinderärztInnen mit Kassenvertrag ist die Situation nicht mehr tragbar. Weder für die Eltern der kleinen PatientInnen noch für die ÄrztInnen selbst.
Einige Eltern haben sich in ihrer Verzweiflung an die Ombudsstelle um Hilfe gewandt, denn sie wurden von mehreren Ordinationen als neue PatientInnen abgewiesen. Daher haben wir von der Patientenombudsstelle die drei letztverbliebenen Kinderordinationen mit Kassenvertrag im 3. und fünf im 23. Bezirk angeschrieben und gebeten uns mitzuteilen, ob sie bereit wären PatientInnen aufzunehmen. Fünf von acht ÄrztInnen haben zurückgeschrieben und eindrucksvoll und nachvollziehbar argumentiert, warum sie in der derzeitigen angespannten Lage keine neuen PatientInnen aufnehmen können, mit Ausnahme von neugeborenen Kindern.
Die Gesundheitsmängel unserer Kinder und die Überlastung der KinderärztInnen
Im Folgenden gebe ich – stellvertretend für die Gesamtsituation – Teile der Antworten der angeschriebenen ÄrztInnen wieder, um ihnen die mehr als angespannte Situation zu erklären:
- Da ich nicht nur für gesunde, sondern auch für akut erkrankte Kinder Termine vergebe, habe ich 50-70 PatientInnen pro Tag.
- Ich betreue in meiner Praxis ein paar Tausend Kinder und Jugendliche. In den letzten Jahren sind sehr viele neue Wohnungen in unserem Bezirk entstanden, viele davon wurden von jungen Familien bezogen. Ich bekomme täglich bis zu 15 Anfragen von neuen PatientInnen, die ich leider ablehnen muss.
- Nach der Pensionierung eines Kollegen im Sommer 2021 hat sich die Situation zugespitzt. Ich bekomme täglich bis zu 15 Anfragen von neuen PatientInnen, die ich leider ablehnen muss. Es besteht ein dringender Bedarf für mindestens eine neue Kassenstelle für den 23 Bezirk.
- Neben den Patienteneltern, die keine ÄrztInnen mit Kassen mehr finden, hat sich die Lage der niedergelassenen KinderärztInnen, die KassenpatientInnen betreuen, extrem verschlechtert. Wir arbeiten am Limit.
- Zunahme der chronisch kranken Kinder, Zunahme der Kinder mit Psychiatrischen Erkrankungen, mit Essstörungen, Unmöglichkeit für Kinder mit Bedarf an Ergo-, Physio-, Psychotherapie, Logopädie einen Kassenplatz zu finden, Unmöglichkeit für PatientInnen mit frühkindlichem Autismus adäquate Betreuung zu finden
- Schikane beim ABS, wenn wir für schwerstkranke PatientInnen Bewilligungen einholen möchten, schlechte Honorierung, Reduktion der Kassenstellen bei steigender Einwohnerzahl, außerdem haben wir gerade eine Pandemie – und in den nächsten Jahren gehen ganz viele von uns in Pension. Da die negative Entwicklung in der Kindermedizin seit langem vorhersehbar war, muss man davon ausgehen, dass es sich um einen politisch gewünschten Umstand handelt.
Ja, es ist tatsächlich so schlimm!
Ich erachte den ungedeckten Bedarf an Kassenordinationen von Kinderärztinnen und Ärzten, als eines der dringendsten Probleme im Wiener Gesundheitssystem, das es zu lösen gilt. Es kann nicht sein, dass Eltern mit einem kranken Kind weiterhin verzweifelt nach einem Kinderarzt oder einer Kinderärztin suchen müssen, schon 2018 wurde darauf hingewiesen und auf den generellen Mangel an KinderärztInnen bereits 2017(!!).
Der Gesundheitszustand unserer Kinder verschlechtert sich. Das ist in einem Land wie Österreich eine Schande! Aber scheinbar interessiert die Gesundheit unserer Kinder die Politiker kaum. Unsere Kinder werden immer dicker. Schon 30% aller Buben und 22% der Mädchen zwischen sechs und neun Jahren in Österreich sind bereits übergewichtig oder adipös. Viele Kinder leiden psychisch. 38 % der Buben und 35 % der Mädchen im Alter von 10 bis 18 Jahren gaben bei einer Umfrage (aus 2018) an, dass sie schon einmal psychische Probleme hatten. Was ist seitdem passiert? Praktisch nichts!
Denn durch Corona leiden unsere Kinder unter dem Lockdown. Besonders für Kinder und Jugendliche hat sich das Leben drastisch verändert. Und genau sie sind es, die aktuell am meisten darunter leiden.
Es muss jetzt gehandelt werden
Die Verantwortlichen in unserem Gesundheitswesen betonen bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass wir in Österreich und in Wien im Besonderen ein hervorragendes Gesundheitssystem haben. Aber für jene Eltern, älteren Menschen und Kranke die eine Kassenordination suchen, da der alte Hausarzt oder Hausärztin in Pension ging, oder neu in unsere Stadt zu-gezogen sind, die bekommen einen völlig anderen Eindruck von unserem Gesundheitssystem. Die finden es nicht mehr so toll und hervorragend.
Es ist mir bewusst, dass dies ohne zusätzliche finanzielle Mittel, nicht zu stemmen ist. Aber die Regierung hat in den letzten zwei Jahren auch gezeigt, dass sie bereit war viel Steuergeld in die Hand zu nehmen, um Betriebe und Arbeitsplätze zu retten. Diese „Großzügigkeit“ könnte diese Regierung auch, dem Gesundheitssystem angedeihen lassen.
Mein Appell: Mit den Kassenzusammenlegungen wurde der Bevölkerung eine Milliarde an Einsparungspotenzial versprochen. Es ist Zeit, dass diese Einsparungen der Bevölkerung und im speziellen den PatientInnen zugutekommen. Besonders unsere Kinder verdienen ein Gesundheitssystem, das sich wirklich um sie kümmert.
Ihr Franz Bittner