| Franz Bittner

Medikamentenengpass in Österreich

Mein Interview mit Präsidentin der Apothekerkammer Mag. pharm. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr zum Thema Medikamentenengpass in Österreich. Dieses Interview habe ich im April 2020 geführt.

Warum gibt es Lieferengpässe?

Frage: Man liest und hört viel über Medikamentenengpässe. Wie viele und welche Arzneimittel sind in Österreich aktuell nicht erhältlich?

Antwort Präs. Mag. pharm. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr:

Laut Vertriebseinschränkungsregister des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen BASG (Link öffnet in neuem Fenster) sind derzeit rund 250 Arzneispezialitäten nicht oder nur teilweise lieferbar. Die Liste ist tagesaktuell über die Website der Behörde abrufbar. Zur Zeit handelt es sich um Präparate quer durch alle Verwendungsbereiche (von Blutdruck- und Schilddrüsen-Medikamenten über Schmerzmittel und Cholesterin-Senker bis zu Salben, Antibiotika und Kortison-Medikamenten).

Zur aktuellen Situation bezüglich Corona: Es sind in Österreich bis jetzt keine Lieferengpässe in Zusammenhang mit der Pandemie gemeldet worden. Die Situation im weiteren Verlauf des Jahres ist abhängig von der weltweiten Entwicklung – vor allem auch in Produktionsländern wie China und Indien. Die Apotheken planen ihren Bestand an Arzneimitteln je nach Bedarf der Patientinnen und Patienten und den Bedürfnissen und Gegebenheiten vor Ort, um die Bevölkerung bestmöglich zu versorgen. Dabei werden die Apotheken regelmäßig – bis zu mehrmals täglich – vom Großhandel beliefert. Dieser hält die Medikamente in großen Mengen in eigenen Logistikzentren zur Verfügung.

Frage: Wie entsteht so ein Lieferengpass überhaupt?

Antwort Präs. Mag. pharm. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr:

Lieferengpässe sind Folge eines freien Markes und der Globalisierung. Rohstoffe werden z.B. nur mehr an ein oder zwei Standorten weltweit produziert. Ein Produktionsausfall an einem dieser Standorte führt logischerweise zu einer weltweiten Produktverknappung. Die Apothekerkammer fordert seit Sommer 2019 die Herstellung und Lagerung von Rohstoffen und Arzneimitteln zurück nach Europa zu holen und dies durch entsprechende Rahmenbedingungen zu ermöglichen.

Frage: Warum gibt es überhaupt Lieferengpässe in einem so reichen Land wie Österreich, was sind die Gründe dafür? Tragen auch hausgemachte Probleme in Österreich zu dem Problem bei?

Antwort Präs. Mag. pharm. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr:

Der Reichtum eines Landes hat nur sehr beschränkten Einfluss auf das Entstehen von Lieferengpässen. Es gibt meiner Einschätzung nach zwei Hauptgründe dafür.
1. Produktion und Lagerung von Rohstoffen und Arzneimitteln befinden sich außerhalb Europas und verursachen somit eine Abhängigkeit vom Weltmarktgeschehen.
2. Österreich ist bei den Medikamenten ein Billigpreis-Land. In anderen Ländern wird für Medikamente mehr bezahlt. Verständlicherweise fehlt dadurch der wirtschaftliche Anreiz, nach Österreich zu liefern.

Eine weltweite Produktverknappung wird dann in Österreich dramatisch spürbar. Die Forderung nach höchster Qualität, ständiger Verfügbarkeit und bester Beratung bei gleichzeitigem Preisdumping bringen alle an die Grenzen des Machbaren (Hersteller, Großhandel und Apotheken).

Wer hat Versorgungs- und Bereitstellungsverpflichtungen?

 

Frage: Muss ein Lieferengpass öffentlich bekanntgegeben werden?

Antwort Präs. Mag. pharm. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr:

Mit 1. April 2020 ist die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung in Kraft getreten. Diese soll zur Verhinderung von Lieferengpässen bei verschreibungspflichtigen Arzneispezialitäten beitragen.
Die Verordnung sieht eine Meldepflicht des Zulassungsinhabers in ein öffentlich einsehbares Melderegister des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) (Link öffnet in neuem Fenster) vor. Diese wird dann schlagend, wenn eine verschreibungspflichtige Arzneispezialität voraussichtlich mehr als 2 Wochen nicht lieferbar oder mehr als 4 Wochen nicht ausreichend lieferbar ist.

Nach eingehender Prüfung durch das BASG und Veröffentlichung im Register darf die betreffende Arzneispezialität nicht mehr in einen anderen EWR-Mitgliedstaat exportiert werden. Das Exportverbot bleibt bis zum Wegfall der Vertriebseinschränkung und Streichung aus dem Melderegister aufrecht.

Speziell für Krisensituationen wie Epidemien, Pandemien, terroristischen Bedrohungen, kriegerischen Auseinandersetzungen oder sonstigen Krisensituationen kann der Bundesminister für Gesundheit und Frauen, durch Verordnung Regelungen über Versorgungs- und Bereitstellungsverpflichtungen erlassen. Vorausgesetzt die notwendige Versorgung der Bevölkerung wäre ernstlich und erheblich gefährdet. Diese Verpflichtungen gelten dann für Zulassungsinhaber, Depositeure, Hersteller, Arzneimittel-Vollgroßhändler, Arzneimittel-Großhändler und öffentliche Apotheken, wenn und solange dies auf Grund der besonderen Situation erforderlich ist.

In den Gesetzesmaterialien wird dazu ausgeführt, dass es für derartige Krisensituationen möglich sein muss, Versorgungs- und Bereitstellungsverpflichtungen festzulegen. Dies gilt für die Kette der, für die Arzneimittelversorgung Zuständigen (vom Zulassungsinhaber, Hersteller, Großhändler bis zur öffentlichen Apotheke).

Frage: Was können Patienten machen, wenn ihr Medikament nicht erhältlich ist? Welche Lösungen kann die Apothekerschaft bei Lieferengpässen anbieten?

Antwort Präs. Mag. pharm. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr:

Patienten sollen sich immer an regionale Apotheke ihres Vertrauens wenden. In der Regel hat ein Lieferengpass keine bzw. nur geringfügige Folgen für die Patienten. Etwa 95 Prozent der Fälle können direkt vor Ort gelöst werden.
Apothekerinnen und Apotheker bemühen sich mit großem Aufwand, das benötigte Präparat aus dem Inland, notfalls auch aus dem Ausland, zu besorgen. Dabei kann es zu einer Wartezeit von wenigen Tagen kommen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, nach Rücksprache mit dem Arzt auf ein vergleichbares Produkt mit identem Wirkstoff zurückzugreifen.
Solange ein Rohstoff in Österreich erhältlich ist, können Arzneimittel nach spezieller Verschreibung auch von ApothekerInnen direkt vor Ort selber angefertigt werden (= magistrale Herstellung).
Generell lässt sich sagen: ApothekerInnen können in aller Regel die Kontinuität der Arzneimittelversorgung sicherstellen. Sie können verhindern, dass aus einem Lieferengpass auch ein Versorgungsengpass wird.

 

Was kann man verbessern?

 

Frage: Was wünschen sie sich zur Verbesserung des Systems? Und was macht Ihnen für die Zukunft Sorgen?

Antwort Präs. Mag. pharm. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr:

Ich wünsche mir vor allem mehr Transparenz. Der Arzt soll schon beim Ausstellen eines Rezepts wissen, ob das jeweilige Arzneimittel in Österreich lieferbar ist oder nicht.
Weiters wünsche ich mir, dass die aktuell tagende interdisziplinäre Task Force unter der Leitung des BASG für die anstehenden Probleme rasch Lösungen findet. In dieser Task Force nehmen auch die Pharmaindustrie, Großhandel, Apothekerkammer, Ärztekammer und diverse Experten teil.
Ein Schlüssel zur Vermeidung von Arzneimittelknappheit wird aber letzten Endes in der Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Arzneimittelherstellung und die gesamte Vertriebskette liegen.

Die Erfahrungen in der aktuellen Coronakrise bestätigen, dass wir innerhalb des österreichischen Gesundheitssystems unsere Ressourcen sehr gut nutzen. Es ist zu hoffen, dass wir aus den jetzt gemachten Erfahrungen lernen nach der deren entsprechenden Analyse die richtigen Entscheidungen für die Zukunft treffen.

Link zur Apothekerkammer (Link öffnet in neuem Fenster)>>