PatientInnen, deren HausärztInnen in Pension gingen, irren herum, um von einer/m neue/n HausärztIn als PatientIn aufgenommen zu werden. Leider oft vergeblich und sie landen dann in den Spitalsambulanzen. Mütter und Väter suchen verzweifelt für ihre Kinder um Termine bei KinderärztInnen mit Kassenvertrag an, die Wartezeiten sind oft enorm. Viele müssen daher zwangsweise zu WahlärztInnen ausweichen, wo sie hohe Honorare bezahlen, die von den Krankenkassen nur geringfügig refundiert werden.
Die Sozialversicherung versucht daher die WahlärztInnen dahingehend zu motivieren, dass sich diese der E-Card bedienen. Und damit auch mehr Informationen über ihre PatientInnen erlangen würden, was aus Sicht ihrer PatientInnen wünschenswert wäre. Diesen würde dies freilich ökonomisch nicht helfen, die Honorare würden hoch bleiben und die Kostenerstattung gering.
Die Ärztekammer für Wien hat im Herbst eine Umfrage bei ÄrztInnen in den Wiener Spitäler durchführen lassen, an der sich 21 Prozent aller SpitalsärztInnen beteiligt haben. Das Ergebnis ist desaströs für die Spitalserhalter.
Ergebnis der Befragung:
- Eine überwiegende Mehrheit der angestellten ÄrztInnen ortet aufgrund der aktuellen Rahmenbedingungen Qualitätsverluste in der PatientInnenbetreuung.
- Weiters ortet eine klare Mehrheit Qualitätsverlust in der Ausbildung von Turnus-ÄrztInnen.
- Zudem werden große Engpässe bei der Versorgung der PatientInnen an Wiener Spitälern wahrgenommen.
- Mehrheitlich wird der Aussagen zugestimmt, dass die Wiener Stadtpolitik nichts gegen die Probleme in Wiener Spitälern tut.
- Gesundheitsstadtrat Hacker nimmt laut den Befragten die Gefährdungsanzeigen aus Wiener Spitälern nicht ernst genug.
neuer Patientenanwalt der Stadt Wien
Der neue Patientenanwalt der Stadt Wien hat ebenfalls große Probleme im Wiener Gesundheitswesen bestätigt. Wir von der Patientenombudsstelle sind jeden Tag mit vielen berechtigten Beschwerden und Vorwürfen von PatientInnen konfrontiert und müssen in unserer zehnjährigen Tätigkeit den Befund abgeben, dass sich unser Gesundheitssystem leider nicht zum Vorteil der PatientInnen weiterentwickelt hat.
Was sind die Gründe für diese Entwicklung?
In den 2000 Jahren warnten die Ärztekammern von einer ÄrztInnenschwemme und so wurde unter der schwarz-blauen Regierung Schüssel I Pläne zur Regulierung des Medizinstudiums konkret. FPÖ-Gesundheitsstaatssekretär Reinhart Waneck, der damals wohl wichtigste Kommunikator im Diskurs, fordert einerseits gemeinsam mit Ärztekammerpräsident Otto Pjeta die Einführung von Zugangsbeschränkungen zum Medizinstudium und warnt gleichzeitig mit Nachdruck vor einer drohenden ÄrztInnenarbeitslosigkeit. Den Vogel schoß aber der Ärztekammerpräsident Brettenthaler im Jahr 2005 ab, indem er sagte: „Jetzt werden zu viele ausgebildet, deswegen fahren Kollegen jahrelang Taxi und vergessen, was sie gelernt haben. Diese Planlosigkeit ist zynisch“ (Presse 22. 01. 2005).
Die Länder wie auch der Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger teilten zum Teil diese damalige Meinung und forderten die Reduzierung der „teuren“ Spitalsbetten und speziell in Wien eine Reduzierung der Kassenverträge. Zugegeben es gab damals in Wien zu viele Ordinationen in den technischen Fächern, die auch mühsam – ohne, deren Leistungsfähigkeit zu schmälern – reduziert werden konnten. Doch weder bei den Haus- oder KinderärztInnen wie auch bei den FachärztInnen mit Kassenvertrag waren die Quoten zu hoch, obwohl bereits auch damals die Spitalsambulanzen oft zum Bersten voll waren. Die Anzahl der in Wien ordinierenden WahlärztInnen waren zu dieser Zeit eine vernachlässigbare Größe.
Als die Arbeitszeitreform für SpitalsärztInnen (Einführung der 40 stündigen Wochenarbeitszeit mit einem Durchrechnungszeitraum von 48 Stunden) eingeführt wurde, hatten viele SpitalsärztInnen trotz einer relativ hohen Gehaltserhöhung plötzlich mehr Zeit und gründeten zu ihrer Spitalstätigkeit kleine Wahlarztordinationen. Mit dem Ergebnis, dass wir heute in Wien mehr WahlärztInnen als KassenärztInnen haben. Die Sozialversicherung reagierte darauf nicht, denn jeder Wahlarztbesuch reduziert die Ausgaben für die „Ärztliche Hilfe“. Für die Ärztekammer ist diese Entwicklung Wasser auf ihre Mühlen, stärkt doch diese Entwicklung ihre Verhandlungsposition gegenüber der Sozialversicherung. Anstelle, dass die SV die Kassenverträge für neue ÄrztInnen attraktiver gemacht hätte – es fehlte natürlich auch an den finanziellen Mittel – gab sie sich mit dem Status quo zufrieden. Die Pandemie hat uns eines Besseren belehrt. Einige Reformen, die in der Vergangenheit nicht getätigt wurden, haben in der Pandemie vielen PatientInnen das Leben gerettet.
Kassenreform
Für Wien wurde die „Kassenreform“ der Regierung Kurz I sehr belastend. Die Zusammenlegung der 9 Gebietskrankenkassen wäre vielleicht noch erträglich gewesen, doch ging es der ÖVP und der FPÖ nicht um eine Verbesserung des Gesundheitssystems, sondern um eine politische Machtverschiebung von den ArbeitnehmerInnen (ÖGB und AK) zu den ArbeitgeberInnen (WKÖ). Jetzt entscheiden die Wirtschaftskämmerer was für die ArbeiterInnen und Angestellten im Gesundheitssystem gerade noch gut genug ist. Um es aus meiner Sicht klar auszudrücken, so viele Dilletanten die jetzt an den Hebeln der Macht in der Sozialversicherung sitzen, verträgt auch das beste Gesundheitssystem nicht. Der derzeitige Obmann des Verwaltungsrat der ÖGK, der Gewerkschafter Andreas Huss, führt einen aussichtslosen Kampf gegen die Windmühlen der Wirtschaftskammer und findet auch bei den Ärztekammern kaum eine Zustimmung für seine Ideen. Bereits im Jänner 2023 muss er diese Position mit dem Wirtschaftskämmerer Matthias Krenn einem Freiheitlichen Funktionär, Bürgermeister und Hotelier wieder für sechs Monate tauschen, von dem ich bisher kaum eine Aussage zum Gesundheitssystem gehört habe.
Zum Treppenwitz – siehe ÄrztInnenschwemme in den 2000 Jahren – versuchen nun Ärztekammer und Länder verzweifelt das Gegenteil zu erreichen und sind der Meinung wir haben demnächst zu wenige ÄrztInnen für die Zukunft. Allerlei Ideen werden gewälzt und auch die 20-jährige Forderung nach der „Finanzierung aus einem Topf“ wird uns von der Politik als neu verkauft.
Wir haben durch dilettieren, aus Standesdünkel, oft auch aus falsch verstandener Parteilichkeit es geschafft, unser von uns „hochgelobtes“ Gesundheitssystem zu schwächen.
Wenn nicht bald auf politischer Ebene an Reformen für die Beschäftigten (Pflege und ÄrztInnen) im Gesundheitswesen positives passiert, dann werden wir mit noch größeren Problemen als derzeit konfrontiert sein.
Für eine Reform, die diesen Namen auch verdient ist es nie zu spät. Doch dazu gehört von allen Stakeholdern der Wunsch und der Wille das solidarische Sozialsystem zu stärken. Ein Sozialminister dem die Probleme bekannt sind und der es bedauert, dass er einen Koalitionspartner hat, der seine Ideen ablehnt, der nützt uns PatientInnen leider auch nicht sehr viel. Doch zumindest hat er die Probleme erkannt.
Meint ihr Franz Bittner