| Franz Bittner

„Frühzeitige Arbeitsunfähigkeit so weit wie möglich verhindern.“

Franz Bittner: Die „Rehabilitation vor Pension“ soll temporär arbeitsunfähigen Menschen die Rückkehr ins Berufsleben ermöglichen. Für wen kommt dieses Angebot in Frage?

 

Manfred Anderle: Es ist ganz allgemein Aufgabe der Rehabilitation, Menschen nach schweren Erkrankungen, Operationen Spitalsaufenthalten etc. dabei zu unterstützen, wieder aktiv an ihrem Leben teilhaben zu können und selbstständig aus eigener Kraft den Wiedereinstieg in das Berufsleben zu schaffen.

 

Rehabilitation vor Pension erfasst alle AntragstellerInnen, die vorübergehend arbeitsunfähig sind. Dabei erfolgen medizinische Rehabilitationsmaßnahmen, wenn diese eine nennenswerte Besserung des Gesundheitszustandes mit Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit erwarten lassen. Eine berufliche Reha kommt für Menschen in Betracht, die einen Berufsschutz aufweisen und in ihrem geschützten Beruf bzw. in Verweisberufen nicht mehr tätig sein können und eine Besserung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht ausgeschlossen ist.

 

Franz Bittner: Welche beruflichen und gesundheitlichen Reha-Maßnahmen stehen Betroffenen zur Verfügung?

 

Manfred Anderle: Im medizinischen Bereich gibt es Reha-Leistungen bei Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates, bei Herz-/Kreislauferkrankungen, bei Stoffwechsel- und Magen-/Darmerkrankungen, bei Lungenerkrankungen sowie bei psychischen, onkologischen und neurologischen Erkrankungen.

 

Viele dieser Maßnahmen können sowohl im Rahmen eines mehrwöchigen stationären Heilverfahrens als auch in ambulanter Form in Anspruch genommen werden. Dabei sind beide Reha-Varianten medizinisch gleichwertig. Die ambulante Form macht es vielen Menschen aber leichter, die Reha ins persönliche Umfeld einzubetten, da sie nach den täglichen Therapien am Abend ja wieder nach Hause zurückkehren können.

 

Die Leistungen selbst werden entweder in eigenen Gesundheitseinrichtungen der PVA oder in Vertragspartner-Einrichtungen erbracht. Bereits jetzt werden bei einer Reha individualisierte Patient/-Innenziele in der Aktivitäts- und Teilhabeebene definiert. Künftig wollen wir in Pilotprojekten in unseren eigenen Einrichtungen damit beginnen, die Reha-Ziele verstärkt auch auf berufliche Notwendigkeiten der Patienten und Patientinnen auszurichten, um ihre Chancen auf die Rückkehr an den angestammten Arbeitsplatz zu erhöhen.

 

Bei der beruflichen Reha wiederum stehen unterschiedliche berufliche Qualifikationsmaßnahmen zur Verfügung, mit denen beispielsweise neue Berufe erlernt werden können, ohne dass das ursprüngliche Qualifikationsniveau herabgesetzt wird. Es gibt auch spezielle arbeitsplatznahe Ausbildungen, bei denen die berufliche Qualifikation an einem konkreten Arbeitsplatz in einem Betrieb erworben werden kann.

 

Franz Bittner: Welche Faktoren sind aus Ihrer Sicht für den Erfolg der Reha entscheidend?

 

Manfred Anderle: Der Erfolg ist von mehreren Faktoren abhängig: Wichtig ist einmal zunächst die gezielte Zuweisung des Patienten in die für die besondere Problemlage spezialisierte Reha-Einrichtung. Dort müssen dann ganz klare Reha-Ziele formuliert werden, um für den Patienten/die Patientin ein individuelles Reha-Programm erstellen zu können. Als weiterer ganz wichtiger Faktor kommt die Motivation der Patientinnen und Patienten hinzu. Denn ohne Motivation ist es fast unmöglich, die anstrengenden Rehabilitationsmaßnahmen umzusetzen und gemeinsam mit dem professionellen Reha-Team an einer erfolgreichen Rehabilitation zu arbeiten. Das gilt sowohl für die medizinische als auch die berufliche Rehabilitation.

 

Wir sehen insbesondere bei Menschen mit einer psychischen Erkrankung, dass es oft sehr schwierig ist, sie zu einer Reha zu motivieren. Speziell bei einem längeren Krankheitsverlauf und entsprechender Leidensdauer sehen viele keinen anderen Ausweg mehr, als eine Pensionierung anzustreben. Wir wollen daher künftig neue Wege suchen, um den Menschen bereits viel früher eine Versorgung anbieten zu können.

 

Franz Bittner: Ist in manchen Fällen schon im Vorfeld absehbar, dass Betroffene nicht mehr in den Arbeitsprozess zurückkehren werden? Wie wird damit umgegangen?

 

Manfred Anderle: Grundsätzlich wird seitens der PVA auch bei an sich geringen Erfolgsaussichten alles versucht, um für Betroffene die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit und die Reintegration in den Beschäftigungsprozess zu bewerkstelligen.

Ist die gesundheitliche Einschränkung aber dermaßen groß, dass die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit auszuschließen ist, muss eine dauernde Pensionsleistung zuerkannt werden. Falls eine Arbeitsfähigkeit gegeben ist, diese allerdings nicht im angestammten Beruf, werden weitere berufliche Reha-Maßnahmen gesetzt.

 

Franz Bittner: Wenn wir uns konkrete Zahlen ansehen: Wie vielen Personen gelingt im Anschluss der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt?

 

Manfred Anderle: Betrachtet man die letzten drei Jahre seit Inkrafttreten der IP-Reform (Invaliditätspension), dann konnten in der medizinischen Reha-Schiene rund 2.500 von 17.724 Reha-Geld-Bezieher/-innen ihre Arbeitsfähigkeit wiedergewinnen, das sind rund 14 Prozent.

 

Bei der beruflichen Reha-Schiene waren die Reformerwartungen sicher höher, allerdings kann man hier auch noch keine endgültige Aussage treffen, da die beruflichen Reha-Maßnahmen durchschnittlich eineinhalb bis zwei Jahre betragen. Derzeit absolvieren rund 170 Personen eine berufliche Qualifikationsmaßnahme.

 

Franz Bittner: Es gibt auch kritische Stimmen, die sagen, dass nur wenige Personen die Rückkehr schaffen. Was halten Sie hier entgegen?

 

Manfred Anderle: Den kritischen Stimmen muss man zunächst entgegenhalten, dass niemand aus „Jux und Tollerei“ einen Antrag wegen Berufsunfähigkeit oder Invalidität stellt. Und dennoch werden mehr als zwei Drittel der Anträge abgelehnt, ohne dass eine Pension, Reha-Geld oder Umschulungsgeld wegen vorübergehender Arbeitsunfähigkeit zuerkannt wird.

 

Die Tatsache, dass rund 2.500 Personen durch medizinische Rehabilitationsmaßnahmen im Rahmen des Reha-Geld-Bezuges ihre Arbeitsfähigkeit wiedererlangt haben, schätze ich als Erfolg, der nicht kleingeredet werden darf. Dabei muss man sich ja auch die Schwere der zugrunde liegenden Erkrankungen vor Augen halten. Bei mehr als 70 Prozent der Rehageld-Bezieher/-innen sind teils massive psychische Erkrankungen maßgeblich für die Arbeitsunfähigkeit, was eine Reha ja wesentlich erschwert.

 

Ich bin aber auch davon überzeugt, dass wir trotz aller bisherigen Bemühungen noch nicht am Ende des Lernprozesses angelangt sind und die Wirksamkeit der Reha noch weiter verbessern können. Der Weg, das zu versuchen, ist meines Erachtens auch der Richtige. Schließlich muss es zum Wohle der betroffenen Menschen wie auch im Sinne unseres Sozialsystems Ziel sein, frühzeitige Arbeitsunfähigkeit so weit wie möglich zu verhindern.

 

Franz Bittner: Alarmierend ist der Anstieg psychischer Erkrankungen. Hier sind sicherlich noch Verbesserungen notwendig. Was haben Sie sich hier vorgenommen?

 

Manfred Anderle: Das Ausmaß der psychischen Erkrankungen ist zweifelsohne besorgniserregend. Bereits seit zehn Jahren sind psychische Erkrankungen die Ursache Nummer eins für vorzeitige Arbeitsunfähigkeit, wobei die Einführung der psychiatrischen Reha durch die PVA im Jahr 2002 einen noch stärkeren Anstieg sicher verhindert hat.

 

Auch aktuell verfolgen wir eine Vielzahl von neuen Wegen, um die psychischen Krankheiten einzudämmen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die schon erwähnte Früherkennung, um den betroffenen Menschen so früh wie möglich und damit auch wesentlich wirksamer Hilfe anbieten zu können.

 

Zu diesem Zwecke kooperieren wir hier in einem entsprechenden Pilotprojekt mit der Wiener Gebietskrankenkasse, dem Krankenanstaltenverbund und dem psychosozialen Dienst. Weiters wollen wir die Zusammenarbeit mit den betriebsärztlichen Organisationen intensivieren, um bereits auch in den Betrieben rechtzeitig Problemfelder erkennen zu können. Auch im neuen Gesundheitsvorsorge-Angebot der PVA, der „Gesundheitsvorsorge Aktiv“ (GVA), wird die mentale Gesundheit berücksichtigt, um hier ebenfalls frühzeitig intervenieren zu können. Ein weiterer wichtiger Zugang ist auch die neue gesetzliche „Early Intervention“ bei 28 Krankenstandstagen, die wir sehr befürworten.

 

Neben der Früherkennung soll sich die psychische Reha nach unseren Vorstellungen vermehrt auf alltagsrelevante Umgangsmechanismen und Kompensationsmechanismen spezialisieren. Ebenso wollen wir den ambulanten Bereich der psychischen Rehabilitation weiter ausbauen, da wir hier auch relative viele Menschen sehen, die aufgrund ihrer Erkrankung einen mehrwöchigen stationären Aufenthalt fernab ihres gewohnten Umfeldes nicht schaffen.

 

Last but not least werden wir auch das Reha-Spektrum erweitern und in unserem eigenen Reha-Zentrum in Felbring eine psychosomatische Reha anbieten.

 

 

Zur Person: Manfred Anderle zeichnet seit 2016 als Obmann der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) verantwortlich. Anderle ist seit 2009 Bundessekretär für Organisation der Gewerkschaft PRO-GE. Von 2009 bis 2016 war Anderle Vorstandsmitglied und stellvertretender Obmann der WGKK.