| Franz Bittner

Die verzweifelte Suche nach AllgemeinmedizinerInnen mit Kassenvertrag

2021 war für uns in der Patientenombudsstelle ein Jahr der Herausforderungen, denn es wurden 2.844 Fälle bearbeitet, was einer Zunahme von 47 % im Vergleich zum Jahr davor entspricht. Mehr darüber können sie im Wahrnehmungsbericht 2021 lesen oder auch im Gesundheitsinfrastrukturreport der Ärztekammer Wien.

Sieht man sich die Beschwerden im Detail an, so ist eines der wesentlichen Probleme der Mangel an AllgemeinmedizinerInnen mit Kassenvertrag.

 

PatientInnen suchen ÄrztInnen

Die Anfragen nach einem Hausarzt oder -ärztin haben 2021 extrem zugenommen. In vielen Wiener Bezirken werden von den AllgemeinmedizinerInnen keine neuen Patientinnen und Patienten aufgenommen. Das führt zu viel Frust bei den betroffenen Personen. Und Menschen, die ihre Sozialversicherungsbeiträge monatlich bezahlen und im niedergelassenen Bereich keine VertragsärztInnen finden, werden früher oder später unser Kassensystem in Frage stellen.

Wir drehen uns hier seit Jahren im Kreis. Die Spitalsambulanzen sollen entlastet, Kosten gespart werden und die PatientInnen einen Arzt oder Ärtzin im niedergelassenen Bereich aufsuchen. Dort werden sie aber nicht genommen, weil die AllgemeinmedizinerInnen heillos überlastet sind. Wohin sollen hilfesuchende PatientInnen nun gehen, wenn sie von keiner Ordination wegen Überfüllung aufgenommen werden? Am Ende bleibt wieder nur die Spitalsambulanz übrig.

Das Versprechen mehr ÄrztInnen für Wien ist wichtig, siehe auch hier, die Umsetzung aber zu langsam. Die Gründung von Erstversorgungszentren mit mehreren ÄrztInnen, Pflegepersonal, PhysiotherapeutInnen und SozialarbeiterInnen ist zwar gut und kann zur Lösung beitragen, wir haben hier darüber berichtet, doch auch diese Entwicklung ist viel zu langsam und wahrscheinlich wieder einmal zu bürokratisch.

 

WahlärztInnen sind für viele PatientInnen keine Wahl!

Auffallend ist dabei, dass die Zahl der Fachärzte und -ärztinnen ohne Kassenvertrag in den letzten Jahren stark angestiegen ist. Und gleichzeitig die Zahl der KassenärztInnen immer schneller zurückgeht.

Was aus meiner Sicht nicht passieren darf, ist eine Vermischung der Systeme zum Nachteil der PatientInnen, zum Beispiel frei nach dem Motto „entweder lange Wartezeiten oder Geld auf den Tisch“.

Diese Situation gefährdet auf Dauer unser wertvolles Gesundheitssystem. PatientInnen, die Sozialversicherungsbeiträge bezahlen und trotzdem Wahlarztrechnungen sammeln und dann einen „Nasenrammel“ in der Kostenerstattung zurückzubekommen, sind immer frustrierter und zorniger. Ich habe das schon öfter kritisiert. Diese Situation ist auch gegenüber den KassenärztInnen ungerecht. Denn ihre Ordinationen gehen vor PatientInnen über und die WahlärztInnen verdienen bei einem Zwanzigstel an PatientInnen oft mehr als die KassenärztInnen. Hier wäre die ÖGK und die ÄK für Wien gefordert.

 

Der ungedeckte Bedarf an Kassenordinationen von ÄrztInnen ist eines der dringendsten Probleme im Wiener Gesundheitssystem, das es zu lösen gilt. Wenn wir wollen, dass sich wieder mehr ÄrztInnen für eine Kassenplanstelle entscheiden, wird man ihnen attraktivere Arbeits- und Einkommensbedingungen von Seiten der Sozialversicherung anbieten müssen.

 

Mein Appell: Wenn das die gesundheitspolitischen Ergebnisse der Kassenreform sind, dann gute Nacht Österreich. Diese Entwicklung wird nur dazu führen, dass das Kassensystem komplett ausgehöhlt wird. Es verkommt zu einer Medizin der Grundversorgung und die soziale Ungleichheit hält so auch im Gesundheitswesen Einzug. Denn die wenigsten Familien, die in unserer Stadt wohnen und arbeiten, können sich WahlärztInnen leisten. Gesundheit darf in einem reichen Land wie Österreich keine Frage des Einkommens sein.

Ihr Franz Bittner