| Franz Bittner

„Das gleiche Geld für die gleiche Leistung“

Dass Zuzahlungen oder Selbstbehalte der Krankenversicherungen in Österreich je nach Bundesland und Gebietskrankenkasse unterschiedlich ausfallen, sorgt bei Versicherten seit Langem für Unmut. Für einige Bereiche wurde nun eine einheitliche Regelung beschlossen. Dr. Alexander Biach, Vorsitzender des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, erklärt, welche Kassenleistungen ab 2018 angeglichen werden, welche Verbesserungen sich damit für die Versicherten ergeben und kommentiert auch eine mögliche Fusionierung der Krankenkassen.  

 

Ab 1. Jänner 2018 soll eine Reihe an Leistungen der Krankenversicherungen – wie etwa Selbstbehalte und Zuschüsse – österreichweit einheitlich geregelt sein. Welche Bereiche betrifft das?

 

Alexander Biach: Die Leistungsharmonisierung hat für mich höchste Priorität: Die Menschen wollen, dass sie für das gleiche Geld die gleiche Leistung erhalten. Basierend auf Erhebungen bei allen Sozialversicherungsträgern wurden 23 Leistungsbereiche ausgemacht, die sich in der Höhe der Zuschüsse, der Art der Gewährung und der Höhe der Kostenbeteiligung an einer Leistung unterscheiden. Das betrifft den Bereich “Gesundheitsförderung und Prävention” (FSME-Impfung, PSA-Test und PAP-Abstrich), den Bereich “Ärztliche Hilfe und gleichgestellte Leistungen” (Transportkosten, Endovaginale Sonographie, Psychotherapie, Transporte zur Dialyse, Kostenzuschüsse bei Fehlen vertraglicher Regelungen für gleichgestellte Leistungen, Beistand durch diplomierte Kinderkrankenschwestern und Physiotherapie), den Bereich “Heilmittel, Heilbehelfe und Hilfsmittel” (Rollstühle, saugende Inkontinenzprodukte wie Windeln und Einlagen, Blutzuckerteststreifen, FreeStyle Libre, Perücken bei onkologischer Behandlung, Kontaktlinsen, Hörgeräte und Schuheinlagen), den Bereich “Zahnbehandlung” (Kieferorthopädische Leistungen und Zahnersatz-Zuzahlungen der Versicherten) und den Bereich “Geldleistungen” (Familienzuschläge beim Krankengeld).

 

Welche Verbesserungen ergeben sich durch die Angleichung für die Versicherten?

 

Biach: Die Harmonisierung der Leistungen führt zu einer deutlichen Verbesserung des Leistungsangebotes der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Versicherten werden etwa im Bereich der kieferorthopädischen Behandlung mit rund 5,95 Millionen Euro finanziell entlastet, im Bereich des unentbehrlichen Zahnersatzes mit rund 24,1 Millionen Euro und im Bereich der Transportkosten durch den Entfall der Selbstbehalte mit rund 5,67 Millionen.

 

Welche Leistungsbereiche sind noch offen?

 

Biach: 17 von 23 Leistungsbereichen können von den Krankenkassen selbst geändert bzw. harmonisiert werden, indem sie ihre Krankenordnungen und Satzungen anpassen. Ein weiterer Teil erfordert eine Änderung der Verträge und Honorarordnungen. Und ein dritter Teil erfordert gesetzliche Anpassungen im ASVG und in den jeweiligen Sondergesetzen. Derzeit sind noch die Leistungen bei der Psychotherapie offen, sowie die Kostenzuschüsse bei Fehlen vertraglicher Regelungen für gleichgestellte Leistungen, Physiotherapie, Hörgeräte und Schuheinlagen.

 

Eine Analyse der London School of Economics bescheinigt Österreich zwar ein gutes Gesundheitssystem, empfiehlt aber auch, die Struktur der 22 Sozialversicherungsträger zu optimieren. Sind auch Fusionierungen der Kassen angedacht?

Biach: Wir können alle gemeinsam stolz auf unser Sozialversicherungssystem sein. Im internationalen Vergleich sind wir top bei den Verwaltungskosten und nicht nur das: In Österreich bekommen die Menschen Zugang zu wesentlich mehr Leistungen als in anderen Ländern. Hört man den Gegnern zu, dann ist die Welt offenbar eine sehr einfache: Zusammenlegen ist die Lösung für alles, weil dann man dann weniger Personal bräuchte. Gerade die Behauptung, dass eine Zusammenlegung Verwaltungskosten sparen würde, ist schlichtweg nicht haltbar.


Hinter dem Wort „Verwaltung“ stehen vielfältige und unverzichtbare Arbeitsaufgaben, die für Versicherte erledigt werden müssen. Jährlich werden mehrere Millionen Versicherungsanfragen persönlich betreut, dazu kommen Telefonate und Briefkontakte. Es wird ein komplexes Versorgungsnetz mit den Ärzten, Behandlern und Therapeuten organisiert und die Wirksamkeit von Therapien für die Versicherten kontrolliert. Das alles soll gekürzt werden? Der deutsche Bundesrechnungshof weist aus, dass Zusammenlegungen sogar zu Mehrkosten in der Verwaltung führen können. Zusammenlegungen treiben die Kosten für Leistungen in die Höhe. Wenn nur noch eine „Großkasse“ mit den Ärzten verhandelt, muss ein zentraler neuer Tarif gefunden werden. Dieser Tarif wird sich an einem der alten Tarife orientieren, als es noch mehrere Kassen gegeben hat. Das Risiko, dass dann der teuerste Alt-Tarif zur Anwendung kommt, ist hoch. Da aber nicht mehr Geld zur Verfügung steht, müsste an anderer Stelle gespart werden. Leistungskürzungen wären daher eine mögliche Konsequenz. Und das wäre das Gegenteil von dem, wofür ich stehe.

 

Die Studie wurde von Sozialminister Alois Stöger in Auftrag gegeben. Welche weiteren Inhalte erachten Sie als relevant und sollen im Sinne der Versicherten umgesetzt werden? Wo sehen Sie besondere Dringlichkeit?

 

Biach: Die im Sommer präsentierte Studie der London School of Economics spendet dem österreichischen Gesundheitswesen ein großes Lob. So wird etwa festgestellt, dass der Grad der nicht abgedeckten Bedürfnisse so gering ist wie nirgendwo sonst. Neben der Leistungsharmonisierung sehe ich in der Aufgabenbündelung, Beitragsvereinfachung bei Mehrfachversicherungen und Anpassung der Honorare an neue Leistungen besondere Dringlichkeit. In all diesen Bereichen ist die Sozialversicherung bereits intensiv tätig. Ein weiteres wichtiges Thema ist die neue Primärversorgung. Auch das wird bereits laufend im Rahmen der Vertragspartnerstrategie bearbeitet. Bis Ende 2020 sollen 75 Primärversorgungseinheiten als Netzwerke oder Zentren realisiert werden.

 

Zur Person:

 

Dr. Alexander Biach ist Vorsitzender des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger.